Quelle: Jochen Jansen, Wikimedia Commons

Quelle: Jochen Jansen, Wikimedia Commons

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen die StVZO zu einer Geldbuße verurteilt. Nach den Feststellungen waren in einer Bremsscheibe zwei durchgehende Risse vorhanden. Ein Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, dass während der Fahrt des Betroffenen eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit vorlag. Das Verschulden des Betroffenen sah das AG darin, dass der LKW-Fahrer die Bremsscheiben vor Fahrtantritt nicht durch die Löcher in den Felgen auf Risse kontrolliert hatte. Diese Sorgfaltsanforderungen sieht das OLG Düsseldorf als zu hoch an (Beschluss vom 07.10.14, Az. IV-3 RBs 11/14):

Das Amtsgericht ist zutreffend von einem in objektiver Hinsicht gegebenen Verstoß gem. §§ 41, 69 a StVZO ausgegangen. Der Betroffen hat den Sattelzug in Betrieb genommen, obwohl die Bremsscheibe des rechten Vorderrades zwei durchgehende Risse aufwies. Diese Risse führten zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, wie das Amtsgericht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur rechtsfehlerfrei festgestellt hat.

Die Feststellungen tragen aber nicht die Annahme von Fahrlässigkeit des Betroffenen in Bezug auf den Verstoß. Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab fordert die nach den objektiven Umständen gebotene und den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO ist der Fahrzeugführer für die Vorschriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs verantwortlich. Er hat sich jeweils vor Fahrtantritt im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren davon zu überzeugen. Da die Funktionsfähigkeit der Bremsanlage von enormer Wichtigkeit für die Verkehrssicherheit ist, bestehen insoweit strenge Anforderungen an die Prüfpflicht des Fahrers. Der Führer eines Lastkraftwagens ist grundsätzlich vor Antritt der Fahrt verpflichtet, die Bremsanlage durch Bremsproben zu überprüfen. Eine derartige Bremsprobe hat der Betroffene vor der Fahrt durchgeführt.

Soweit das Amtsgericht davon ausgeht, dass ein Lastzugfahrer jeweils vor Fahrtantritt die Bremsscheiben des Lastzugs durch die Löcher in den Felgen einer Sichtkontrolle auf Risse unterziehen muss, überspannt das Amtsgericht aber die Sorgfaltsanforderungen an einen Lastkraftfahrer. Eine Pflicht zu regelmäßigen Sichtkontrollen der Bremsscheiben ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht angenommen worden. Auch der Senat sieht keine grundsätzliche Verpflichtung zur Kontrolle der Bremsscheiben vor Fahrantritt. Aus den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der „Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution“ ist nicht zu entnehmen, dass die Bremsanlage einer Sichtprüfung zu unterziehen ist. In der Durchführungsanordnung zu § 36 Abs. 1 UVV wird auf den BG-Grundsatz „Prüfung von Fahrzeugen durch Fahrpersonal“ (BGG 915) verwiesen. Darin sind die Prüfpunkte für die Fahrzeugkontrolle – u. a. für die Bremsanlage – festgelegt. Der Prüfungsumfang richtet sich nach der Art der Bremsanlage (hydraulisch, Druckluft, sonstige), wobei bei keiner Anlage eine optische Kontrolle vorgesehen ist. Den Betroffenen träfe nur dann ein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn er im konkreten Fall einen besonderen Anlass zu einer Sichtkontrolle der Bremsscheiben gehabt hätte. Ein solcher Anlass zu gesteigerter Sorgfalt kann etwa bestehen, wenn entsprechende Mängel zuvor bereits einmal festgestellt worden sind.

Der Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene sei auf Grund der Vielzahl der Hitzerisse, die über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden seien, zur Prüfung der Bremsscheiben auch auf durchgehende Risse verpflichtet gewesen, folgt der Senat nicht. Denn die Hitzerisse waren nach den Angaben des Sachverständigen überwiegend unproblematisch. Bei harmlosen Mängeln, die sich erst über einen längeren Zeitraum verschlechtern, darf sich der Fahrer aber grundsätzlich darauf verlassen, dass diese bei der regelmäßigen Wartung, spätestens aber bei der Hauptuntersuchung des Fahrzeuges festgestellt und beseitigt werden. Die Pflicht zu genauerer Prüfung vor Fahrtantritt könnte hier allenfalls daraus folgen, dass die Mängel an der Bremsscheibe so auffällig waren, dass sie von dem Betroffenen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Pflicht zur Kontrolle der Reifen auf ausreichenden Luftdruck und Profiltiefe sowie der Radmuttern auf festen Sitz hätten bemerkt werden müssen. Dies ist durch die Feststellungen des Urteils aber nicht hinreichend belegt. Dass der Zeuge POK M. und der Sachverständige die durchgehenden Risse durch die „in ausreichender Zahl vorhandenen und ausreichend großen Lüftungsöffnungen der Felgen ohne Zuhilfenahme von Werkzeugen“ sehen konnten, besagt nicht, dass auch der Betroffene diese erkannt haben musste. Hiervon wäre nur auszugehen, wenn mindestens ein durchgehender Riss – völlig unabhängig von der Radstellung – durch die Felgenlöcher zwingend erkennbar gewesen ist. Dazu ist weitere Aufklärung zur Position der durchgehenden Risse auf der Bremsscheibe erforderlich. Sollte nicht auszuschließen sein, dass beide Risse durch die Bremsbacken verdeckt gewesen sein könnten, scheidet ein Fahrlässigkeitsvorwurf aus. Denn der Betroffene war nicht verpflichtet, den Sattelzug mehrfach um wenige Zentimeter zu bewegen, um so die Bremsscheiben vollständig in Augenschein nehmen zu können. Ein derartiger Aufwand überspannte die Anforderungen an einen Kraftfahrer.