Quelle: KarleHorn, Wikimedia Commons

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Auch nachdem ein ähnliches Urteil (Auch beim AG Emmen­din­gen gilt: keine Ver­ur­tei­lung bei PoliScan Speed-Messung ohne wei­tere Informationen) durch das OLG Karlsruhe aufgehoben wurde (PoliScan Speed: OLG Karls­ruhe hebt AG Emmen­din­gen auf), vertraut das AG Emmendingen den PoliScan Speed-Messungen nicht ganz. Es hat drei Betroffene vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen (Urteil vom 13.11.2014, Az. 5 OWi 530 Js 17298/13, hier abrufbar). In der (lesenswerten und über 30-seitigen) Entscheidung geht es aber nicht mehr nur um die konkreten Messungen. Sie dokumentiert ausführlich die Rechtsprechung zu den standardisierten Messverfahren aus den 90er-Jahren (BGH: Begriff des stan­dar­di­sier­ten Messverfahrens) und die Problematik um PoliScan Speed und die PTB sowie die dazu ergangene Rechtsprechung. Dabei werden generelle Zweifel des Gerichts an der Figur des standardisierten Messverfahrens laut, jedenfalls in ihrer konkreten Anwendung durch die Oberlandesgerichte:

ee) Die Anerkennung der „Rechtsfigur“ eines „standardisierten Messverfahrens“ ist an sich bereits überaus fragwürdig. Genaugenommen scheint es vor allem um ein einziges „Interesse“ zu gehen: Erleichterungen bei der Beweiserhebung und Darstellung der Urteilsgründe in bußgeldrechtlichen Massenverfahren im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr. Wie der Blick auf die „Entstehungsgeschichte“ (dazu soeben aa)) zeigt, hat der BGH das „Instrument“ dafür zunächst gegen verbreitete Bedenken der OLGe entwickelt.

Der Ausgangsfall (1993) betraf noch einen „geständigen“ Betroffenen, so dass sich die Skrupel gegenüber einer Verurteilung „mit wenigen Sätzen“ leichter überwinden ließen. Im zweiten Fall (1997) erklärte der BGH dann jedoch – wohl zur Verblüffung nicht nur des GBA und des jeweils vorlegenden OLG Köln – die Absegnung derartiger „Spar-Urteile“ habe sich auch auf „nicht geständige“ Betroffene bezogen. Es dürfte sich insoweit vorliegend um ein negatives Paradebeispiel schleichender rechtsstaatlicher Desensibilisierung auf höchstfach- bzw. obergerichtlicher Ebene handeln.

Jedenfalls übernahmen die meisten OLGe in der Folgezeit einigermaßen „bereitwillig“ die Sichtweise des BGH. Einschränkungen der Überprüfbarkeit der Funktionsweise der Geräte seien eben hinzunehmen. Das Messverfahren „PoliScan Speed“ sei ja ein „standardisiertes Verfahren“ iSd Rechtsprechung des BGH. „Argumente“ werden seither in aller Regel durch Zirkelschlüsse in Gestalt von Hinweisen auf den BGH und andere OLGe ersetzt. (…)

8. Das Rechtsstaatsverständnis der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit Abfassung der beiden genannten Entscheidungen des BGH (1993 und 1997) wesentlich weiterentwickelt.

Die Auffassung, dass eine nähere Überprüfung der gemessenen Geschwindigkeitswerte nur geboten sei, wenn zuvor im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung dargelegt worden seien (so z. B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2014 – 2(7) SsBs 454/14-AK 138/14, abrufbar bei juris), ist damit nicht zu vereinbaren. Sie erinnert an das Bild von der Katze, die sich in den Schwanz beißt. Wie soll denn ein Verteidiger eine Messung in Frage stellen, wenn er deren Grundlage nicht kennt? (…)

Bei den im Rahmen der Beweisaufnahme erörterten rechtsstaatlichen Katastrophenszenarien rund um die „PoliScan“-Messungen z. B. in Düsseldorf oder bei Meersburg dürfte es sich nur um die Spitze eines Eisberges handeln. Es spricht viel dafür, dass es bundesweit eine Unmenge von Leichen in den Kellern der Bußgeldbehörden gibt.Das Amtsgericht Emmendingen will denen jedenfalls keine weiteren hinzufügen.