Quelle: pixabay.com

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Nach der OLG-Rechtsprechung ist bei einem standardisierten Messverfahren eine genaue Überprüfung der Messung nur bei konkreten Anhaltspunkten für Fehler notwendig (PoliScan Speed: OLG Karls­ruhe hebt AG Emmen­din­gen auf). Der Verteidiger des Betroffenen wollte eine PoliScan Speed-Messung durch einen Sachverständigen überprüfen lassen. Nach Ablehnung der Herausgabe von TUFF-Datei, Token und Passwort durch die Behörde hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Doch das AG Lüdenscheid meint in dem etwas älteren Beschluss (30.01.2014, Az. 86 OWi 76/13 (b)), die Daten seien dafür zu sensibel und auch der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete eine Herausgabe nicht.

I. Der Märkische Kreis als Bußgeldbehörde hat unter dem 06.11.2013 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen, mit dem ihm „wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h eine Geldbuße in Höhe von 105,- € auferlegt wurde. Außerdem wurde ihm wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt. Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Das Verfahren befindet sich noch bei der Verwaltungsbehörde.

Der Verteidiger des Betroffenen hatte Akteneinsicht und hat daher Einsicht in Messprotokoll, Beweisfotos, Schulungsnachweis, Streckenfotos zur Beschilderung und später auch in den dann richtigen Eichschein erhalten.

Es ist davon auszugehen, dass dem Verteidiger die Bedienungsanleitung für dieses Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan F1 HP vorliegt, da es von der hiesigen Bußgeldbehörde grundsätzlich in Dateiform den Verteidigern auf Anforderung zur Verfügung gestellt wird. Der Verteidiger hat die Herausgabe der Bedienungsanleitung jedenfalls nicht beansprucht. Vielmehr hat er, nachdem die Behörde die vom ihm verlangte Herausgabe der „Tuff-Datei nebst Token und Passwort“ zur Anfertigung eines Privatgutachtens über die Funktionstüchtigkeit das Gerätes abgelehnt hat, nun gerichtliche Entscheidung über die Entschließung der Bußgeldbehörde beantragt.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen war zu verwerfen. Der Betroffene hat keinen Anspruch gegen die Verwaltungsbehörde auf Herausgabe der Tuff-Datei mit Token und dem Passwort.

Ein solcher Anspruch könnte sich aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und eines fairen rechtstaatlichen Verfahrens ergeben. Nach der hier vertretenden Auffassung ist die Herausgabe aller Unterlagen, die von dem Betroffenen zur Anfertigung eines Privatgutachtens durch einen Sachverständigen verwendet werden können, nicht erforderlich, um ein faires Bußgeldverfahren zu gewährleisten.

Vielmehr ist eine Abwägung der Interessen von Betroffenem und Behörden vorzunehmen, wobei auch das Interesse der Behörde zu berücksichtigen ist, in einem durch kurze Verjährungsfristen geprägten Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren möglichst zügig entscheiden und nicht durch teilweise ausufernde, über das gerechtfertigte Akteneinsichtsrecht hinausgehende Informations- und Herausgabeverlangen über Gebühr belastet und an der notwendigen Verfahrensförderung gehindert zu werden. In der bußgeldrechtlichen Praxis ist in zunehmendem Maße zu registrieren, dass Einwendungen von Betroffenen und Verteidigern zur Funktionsfähigkeit eines Geschwindigkeitsmessgerätes letztlich „ins Blaue hinein“ erhoben werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für Fehler oder Manipulationen an dem benutzten Messgerät nachvollziehbar vorgebracht worden oder sonst erkennbar sind. So liegt der Fall auch hier.

Dabei ist die obergerichtliche Rechtsprechung zur Überprüfung von Geschwindigkeitsmessungen, wenn sie auf einem standardisierten Messverfahren – wie vorliegend – basieren, zu berücksichtigen. Denn der Bußgeldrichter ist im gerichtlichen Verfahren nur dann zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Messung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gehalten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messung in Abweichung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung stattgefunden hat. Solche Abweichungen sind vorliegend weder konkretisiert und noch nachvollziehbar dargestellt worden. Wenn aber im gerichtlichen Bußgeldverfahren keine Veranlassung bestünde, ein Sachverständigengutachten zur Ordnungsgemäßheit der Messung einzuholen, muss dies umso mehr für den vorausgehenden behördlichen Verfahrensabschnitt gelten.

Auch dürfte die Herausgabe von regelmäßig geheim zu haltenden Passwörtern und Dateien der Behörden nur dann hinreichend zu rechtfertigen sein, wenn ein Sachverständigengutachten vom Gericht als notwendig angeordnet wird, nicht schon dann, wenn ein Betroffener ohne ausreichende Anhaltspunkte meint, ein solches Gutachten privat einholen zu müssen. Insoweit muss der Betroffene darauf verwiesen werden, auf der Grundlage des Akteninhalts ein (Privat-)Sachverständigengutachten einzuholen, wie dies in der Praxis auch häufig geschieht. Der Sachverständige kann dabei prüfen, ob die Bedienungsanleitung eingehalten wurde.

Zur Funktion von Datei und Token im Zusammenhang mit der Auswertung der Geschwindigkeitsmessung mit dem hier verwendeten Gerät PoliScan hat das Physikalisch-Technische Bundesamt im Oktober 2012 unter anderem wie folgt Stellung genommen:

„Man bezeichnet den verschlüsselten Hashwert der Falldatei als Signatur der Falldatei. Diese Signatur wird an die Falldatei angehängt. Optional darf die signierte Falldatei anschließend mit einem anderen Algorithmus verschlüsselt werden. um die Falldatei aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzern zugänglich zu machen. Diese optionale Verschlüsselung ist nicht Bestandteil der Zulassung.“

„Für die Signaturprüfung wird neben dem Referenz-Auswerteprogramm und der zu prüfenden Falldatei der zum geheimen Schlüssel zugehörige öffentliche Schlüssel benötigt. Der Eichbeamte registriert bei der Ersteichung eines jeden Messgerätes den zugehörigen öffentlichen Schlüssel. Er ist auch für die Verwaltung der von ihm registrierten öffentlichen Schlüssel verantwortlich. In Zweifelsfällen kann daher ein Gutachter über das zuständige Eichamt rekonstruieren, welcher öffentliche Schlüssel tatsächlich zu dem betrachteten Messgerät gehört.

Der Weg, auf dem Falldatei und zugehöriger Schlüssel in die Auswertestelle gelangen, ist nicht entscheidend für die Signaturprüfung. Für die unterschiedlichen Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte und Rotlichtüberwachungsanlagen haben die Hersteller verschiedene Wege realisiert.”

„Das hier beschriebene Auswerteverfahren ist Teil des standardisierten Messverfahrens und kann in Zweifelsfällen mit Hilfe des Referenz-Auswerteprogramms jederzeit wiederholt werden. Nur die signierte Falldatei gilt als unveränderliches Beweismittel. Ein Ausdruck des Inhalts der signierten Falldatei oder ein Ausdruck der grafischen Benutzeroberfläche des Referenz-Auswerteprogramms gelten nicht als unveränderliches Beweismittel.

Auf Grund der hier vorgestellten Sicherung der Authentizität und Integrität der Falldatei werden alle Manipulationen an Falldateien zweifelsfrei erkannt.“

Aus dieser Stellungnahme ergibt sich, dass die Falldatei „aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzern” zugänglich zu machen ist. „In Zweifelsfällen“ könne ein Gutachten über das zuständige Eichamt rekonstruieren, welcher öffentliche Schlüssel tatsächlich zu dem betrachteten Messgerät gehört.

Schon hieraus ergibt sich das Erfordernis einer Begrenzung des Personenkreises, der Kenntnis von „Token und Passwörtern“ erlangt. Ihn auf gerichtlich beauftragte Sachverständige zu beschränken (und ihn nicht auf eine Vielzahl von Betroffenen und deren Verteidigern und den von ihnen privat eingesetzten Gutachtern auszuweiten) drängt sich auf.

Insgesamt ist daher die Herausgabe von Daten, Dateien und Token zur Fertigung eines privaten Gutachtens über eine Geschwindigkeitsmessung im behördlichen Bußgeldverfahren vorliegend nicht hinreichend begründet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war daher zu verwerfen. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.