Der Zahnarzt des Betroffenen hatte diesem für den Tag der Hauptverhandlung vor dem AG Tiergarten wegen einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr die Arbeits- und Verhandlungsunfähigkeit (Diagnose „Abszess regio 26.27“) bescheinigt. Diese Angaben genügten der Richterin als Entschuldigung nicht. Sie sah sich jedoch außerstande, mit dem Arzt Rücksprache zu halten, denn eine Telefonnummer war auf dem Attest nicht angegeben. Das KG hielt es in diesem Fall jedoch für zumutbar, vor der Einspruchsverwerfung die Telefonnummer des Arztes zu ermitteln und diesen zur Erkrankung näher zu befragen. Es hob daher das Prozessurteil auf und verwies die Sache an das AG zurück (Beschluss vom 18.03.2015, Az. 3 Ws (B) 58/15162 Ss 11/15).

Die Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Eine auf diese Vorschrift gestützte Verwerfung eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid setzt voraus, dass sich aus allen Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sind, keine Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Fernbleiben ergeben. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, so darf der Einspruch nur verworfen werden, wenn das Gericht diesen nachgegangen ist und sich im Freibeweisverfahren die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind. Bestehen nicht zu klärende Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, kommt eine Verwerfung des Einspruchs nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 3 Ws (B) 392/14 – m.w.N.).

Bestehen Anhaltspunkte für eine Erkrankung des Betroffenen ist sein Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist. Es genügt vielmehr, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist. Darüber hinaus kann ein Betroffener auch in subjektiver Hinsicht entschuldigt sein, etwa weil er im Vertrauen auf ein ärztliches Attest davon ausgegangen ist, ein Erscheinen sei ihm krankheitsbedingt nicht zuzumuten (vgl. Senat, NZV 2002, 421 m.w.N.).

Diesen Grundsätzen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Dem Amtsgericht lag, wie sich schon aus den Urteilsgründen ergibt, zum Zeitpunkt der Verwerfung des Einspruchs ein ärztliches Attest des Zahnarztes P. vor, in dem dem Betroffenen eine Arbeits- und Verhandlungsunfähigkeit für den Tag der Hauptverhandlung mit der Diagnose „ Abszess regio 26.27“ attestiert wurde. Damit waren für die Tatrichterin Anhaltspunkte für eine – je nach Schwere der Erkrankung – mögliche genügende Entschuldigung des Betroffenen erkennbar. Das Gericht hat dies im Grundsatz offenbar auch nicht verkannt und war sich offenbar bewusst, dass eine weitere Aufklärung im Freibeweisverfahren erforderlich war. Dafür sprechen die Ausführungen in den Urteilsgründen, eine Rückfrage beim Arzt sei aufgrund fehlender Telefonnummer auf dem Attest nicht möglich gewesen. Diese Begründung ist jedoch für die unterlassene weitere Aufklärung ungenügend. Aus dem Attest ergaben sich Name und Anschrift des ausstellenden Arztes. Es wäre dem Gericht daher unschwer möglich gewesen, die Telefonnummer zu ermitteln und den ausstellenden Arzt zur Schwere der Erkrankung des Betroffenen zu befragen.

Darüber hinaus hat das Gericht die Möglichkeit, dass der Betroffenen mangels Pflichtverletzung in subjektiver Hinsicht entschuldigt sein könnte, weil er im Vertrauen auf das ärztliche Attest von einer genügenden Entschuldigung ausgegangen sein könnte, nicht ersichtlich in Erwägung gezogen.