Quelle: Jepessen, Wikimedia Commons

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Bei dieser Geschwindigkeitsmessung  mit dem ES 3.0-System sollten beide (gegenläufigen) Fahrbahnen erfasst werden. Verwendet wurden dabei offenbar zwei Kameras (eine für jede Richtung), von denen eine nicht geeicht war. Diese fotografierte den Betroffenen von vorne (wurde vom Gericht nicht verwertet); eine Aufnahme der geeichten Kamera zeigt sein Fahrzeug von hinten. Da auf diesem Heckfoto nicht zu erkennen war, ob sich das Fahrzeug in Höhe der Fotolinie befand, wurde der Betroffene freigesprochen. Die PTB übrigens bezeichnete in dem Verfahren den Hinweis in einer (alten) Bedienungsanleitung, dass Fahrzeuge von vorne zu fotografieren seien, als “missverständlich” – er war auch nicht mehr Bestandteil der zum Zeitpunkt der Aufnahme geltenden Fassung. Stattdessen sei auch bei einem Heckfoto eine Auswertung problemlos möglich (AG Büdingen, Beschluss vom 29.06.2015, Az. 60 OWi – 206 Js 30808/13).

In der Bußgeldsache

gegen …

Verteidiger: Rechtsanwalt Thomas Biek, Bahnhofstraße 12, 57334 Bad Laasphe

wegen Ordnungswidrigkeit

wird der Betroffene freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Die Messung entspricht nicht der Gebrauchsanleitung des Herstellers und enthält deshalb Imponderabilien, die zu einer Nichtverwertbarkeit der Messung führen.

Am 04.07.2013 um 20:55 Uhr wurde das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … von dem Geschwindigkeitsmessgerät Eso 3.0,erfasst, da das Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt. Mit dem Überwachungsgerät wurden die beiden gegenläufigen Fahrbahnen überwacht. Im Einsatz war eine geeichte Kamera und eine ungeeichte Zusatzkamera. Das Gerät fertigte ein Foto mit der geeichten Kamera, in das die relevanten Daten (Geschwindigkeit, Tattag etc.) eingetragen wurden und in jedem Verfahren vorliegen.

Im vorliegenden Fall wurde das Fahrzeug von hinten mit der geeichten Kamera erfasst. Dieses Foto enthält somit auch die notwendigen Daten. Die anderen Fotos stellen die „Fotolinie“ bzw. Fahrer dar. Auf die bei der Akte befindlichen Fotos wird gemäß § 267 Abs.1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG wird Bezug genommen.

Das Gutachten von Diplom Ingenieur B vom 06.03.2015, die Anfrage des Gerichts und die Stellungnahme der PTB vom 30.01.2015 und die Gebrauchsanweisung der Geschwindigkeitsmessanlage wird zum Gegenstand der Entscheidung gemacht.

Gültig zum Messzeitpunkt war die Gebrauchsanweisung Stand 08.07.2013. In sämtlichen Gebrauchsanweisungen vor dem 08.07.2013 war zu lesen „Um die Fahreridentifikation zu ermöglichen, wird das Fahrzeug von vorne fotografiert“. Nach der Antwort der PTB handelt es sich um „eine missverständliche aufgefasste Passage“ die überarbeitet-weggelassen wurde. Für das Gericht ist dieser Satz nicht missverständlich, sondern eindeutig und bedeutet, dass das Fahrzeug von vorne fotographisch erfasst wird.

In der Fassung vom 31.10.2013 heißt es „Das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät kann auch gleichzeitig mit zwei geeichten Fotoeinrichtungen – insbesondere zur Überwachung von beiden Fahrtrichtungen – betrieben werden. Hierbei wird abhängig von der Fahrtrichtung die zur Erstellung eines Frontfotos geeignete Fotoeinrichtung von der Rechnereinheit angesteuert“, Bl. 50 der Gebrauchsanweisung, zitiert nach B, Gutachten Bl. 9. Dies bedeutet, dass wieder ein Frontfoto (Foto von vorne mit Dateneinblendung) zur Verfügung steht. In der Gebrauchsanweisung Stand 08.07.2013 sind 2mal Aufstellungsanordnungen für die Überwachung des gegenläufigen Verkehrs abgebildet, Bl. 3 und 6 der Gebrauchsanleitung.

Es sind jeweils 2 geeichte Kameras im Einsatz. Bl. 37 wird ausgeführt, dass der Abstand des Fahrzeugs zur Fotolinie durch die Verbindung des Vorderradaufhängung bestimmt werden kann. Diese Gerade kann aber nur dann bestimmt werden, wenn 2 Punkte, d.h. beide Vorderräder sichtbar sind, d.h. es muss ein Frontfoto vorliegen. Bei einem Foto ist nur ein Vorderrad sichtbar. Für die Begutachtung der Messung ist für die erkennende Gerichte die Fotolinie und die Stellung der PKW von größter -leider einzigen- Bedeutung. „Die Fotolinie ist eine gedachte Linie, an der das Fahrzeug abgebildet wird (geschwindigkeitsunabhängig ca. 3 m in Fahrtrichtung hinter der Messlinie)“, Bl. 36 Gebrauchsanleitung und. Bl. 6ff. des Gutachtens, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird.

Diese Fotolinie ist nach der Gebrauchsanweisung zu dokumentieren. Bei Veränderung der Messeinrichtung ist diese Dokumentation zu wiederholen. Die Dokumentation dient dazu, die Messwerte eindeutig einem Fahrzeug zuzuordnen, Bl. 37 Gebrauchsanweisung. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung führen Mängel oder Fehlen der Dokumentation zu Unverwertbarkeit der Messung. „Fotopunkt und Fotolinie haben keine messrelevante Bedeutung und dienen zur Erleichterung der Zuordnung bei mehreren hintereinander fahrenden Fahrzeugen“, vgl. Bl. 37 Gebrauchsanweisung. Nach Ansicht des Gerichts ist der Beweiswert der Dokumentation gleich null, wenn nur ein Heckfoto vorliegt.

Der Raum neben dem Fahrzeug hinter oder vor der Fotolinie auf der gegenüberliegenden Seite der Fotoeinrichtung ist nicht sichtbar. Eine Beurteilung ist damit ausgeschlossen. Die 2 Funktion ist im Zusammenhang mit der Fotolinie wichtig. Das Gericht kann und muss die Qualität der Messung überprüfen, d.h. es muss überprüfen, ob das gemessene Fahrzeug im Bereichs von +- 30 cm von der Fotolinie steht (vgl. wegen der Einzelheiten Bl.7,8 des Gutachtens). Diese Stellung ist aber nur beurteilbar, wenn beide Vorderräder sichtbar sind, da nur dann die entsprechende gedachte Gerade bestimmt werden und mit der Fotolinie verglichen werden kann. Steht das Fahrzeug nicht in diesem Bereich, ist die Messung nach den Vorgaben des Herstellers fehlerbehaftet und damit nicht verwertbar.

Auf Anfrage des Gerichts teilte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt mit, “die Auffassung, die geeichte Kamera muss zwingend Frontaufnahmen erstellen, um die Auswertung der Fotoposition anhand der Auflagepunkte der Vorderräder zu gewährleisten, ist unzutreffend. Die Abbildung 24 in der Gebrauchsanweisung (Stand 08.07.2013) zeigt die von einer geeichten Kamera(erkennbar am eingeblendeten Geschwindigkeitswert) während einer gültigen Messung erstellte Heckaufnahme. Die Auswertung kann auch hier problemlos anhand der Auflagepunkte der Räder über eine Parallelverschiebung der Verbindung der Radauflagepunkte der Hinterachse auf die Vorderachse vorgenommen werden.“

Diese Stellungnahme ist in betreffend der Verwertbarkeit in 4facher Hinsicht bemerkenswert (!):

  1. Die Messung Bild 24 ist tatsächlich nicht verwertbar, da das Kennzeichen nicht lesbar -weil nicht abgebildet- ist, vgl. Bl. 7 Gebrauchsanleitung.
  2. Eine Verbindung der Hinterräder ist nicht möglich, da nur ein Hinterrad sichtbar ist.
  3. Eine einfache Parallelverschiebung -Geometriedreieck, Lineal- löst nicht die Aufgabe. Aufgrund der Darstellung im 3D-Koodinatensystem sind die aufwendigen Methoden der Photogrammmetrie anzuwenden. Diese sind betreffend einem Ergebnis davon abhängig, dass der Winkel zwischen Fahrzeug und Sensor bestimmt ist. Nach den Erkenntnissen des Gerichts wird der aber nirgends festgehalten, vgl. Ausführung des Sachverständigen B, Bl. 14 ff., der das Verfahren und seine Probleme zutreffend beschreibt.
  4. Es kann aufgrund der Darstellung nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass an der gedachten Fotolinie ein weiteres, die Messauslösung des Fahrzeugs, rechts von dem abgebildeten Fahrzeug sich befindet.Für die Messung von 2 gegenläufigen Fahrbahnen sind 2 geeichte Kameras notwendig. Nur dann kann die Güte der Messung, ihre eindeutige Zuordnung zu einem Fahrzeug, Einhaltung der Gebrauchsanleitung beurteilt und ein zutreffend verwertbares Ergebnis gewonnen werden.

Im vorliegenden Fall ist das nicht der Fall. Die Messung ist deshalb nicht verwertbar. (Messung anderer Behörden erfolgen nach Erkenntnissen mit 2 gleichen Kameras). Im vorliegenden Fall kann nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich an der Fotolinie hinter dem abgebildeten Fahrzeug ein weiteres, die Messung auslösendes Fahrzeug sich befindet und ob das abgebildete Fahrzeug im Toleranzbereich betreffend der Fotolinie sich befindet.

Die Messung ist nicht verwertbar.

Es ist deshalb freizusprechen und die Kosten und Auslagen sind der Staatskasse aufzuerlegen.

Vie­len Dank an Herrn Rechtsanwalt Olaf Plum (Bad Laasphe) für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.