Das AG Lüdenscheid hält an seiner Rechtsprechung fest: Betroffene haben keinen Anspruch darauf, von der Bußgeldbehörde die sie betreffende PoliScan-Speed-Falldatei mit Token und Passwort zur Auswertung durch einen privaten Sachverständigen zu erhalten (Beschluss vom 12.10.2015, Az. 86 OWi 78/15 [b]). Das Interesse des Betroffenen an einem fairen Verfahren und auf rechtliches Gehör würde von dem Interesse der Behörde überwogen, zügig entscheiden zu können und nicht über Gebühr mit ungerechtfertigten Herausgabeverlangen belastet zu werden, heißt es in dem Beschluss. Schließlich handele es sich bei PoliScan Speed um ein standardisiertes Messverfahren, bei dem das Gericht erst bei konkreten Anhaltspunkten für Fehler – und nicht schon bei Behauptungen “ins Blaue hinein” durch die Verteidigung – ein Gutachten einholen müsse. In diesem Fall habe der Betroffene auch kein Recht auf eine weitergehende Akteneinsicht. Dabei übersieht das AG offenbar, dass der Betroffene und sein Verteidiger u. U. erst durch das private Gutachten in die Lage versetzt werden, konkrete Einwendungen gegen die Messung zu erheben – oder eben von Einwendungen abzusehen. Wenig verständlich ist es auch, wenn das AG aus einer Stellungnahme der PTB folgert, der Herausgabe der eigenen Falldatei (mit der Messung des Betroffenen) stünde das Datenschutzrecht entgegen. Im Übrigen scheint das Gericht eine Mindermeinung zu vertreten: Nach Ansicht des AG Trier ist neben der Falldatei auch das Token sowie das Passwort herauszugeben. Auch das OLG Oldenburg verlangt unter Berufung auf Cierniak (ZfS 2012, 664), die Messdatei rechtzeitig vor dem Prozess einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen. Ähnliche Entscheidungen zu den Rohdaten des ES 3.0-Verfahrens sind außerdem durch das AG Weißenfels und das AG Kassel ergangen.

In dem Verfahren

gegen

Verteidiger: Rechtsanwalt Dirk Rahe, Lahnsteiner Straße 7, 07629 Hermsdorf

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde auf Nichtherausgabe der Falldatei nebst Token und Passwörtern wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt dieser selbst.

Gründe:

I.

Die Verwaltungsbehörde hat unter dem 22.07.2015 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen, mit dem ihm wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 18 km/h eine Geldbuße in Höhe von 70 EUR auferlegt wurde. Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Das Verfahren befindet sich noch bei der Verwaltungsbehörde.

Der Verteidiger des Betroffenen hat Akteneinsicht erhalten und daher Einsicht in Messprotokoll, Beweisfotos, Schulungsnachweis, Beschilderung und in den Eichschein erhalten. Zudem wurde ihm die Bedienungsanleitung für das Geschwindigkeitsmessgerät Poliscan Speed F1 HP zur Verfügung gestellt. Nachdem die Behörde die von ihm verlangte Herausgabe des Falldatensatzes nebst Token und Passwort abgelehnt hat, hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen war zu verwerten. Der Betroffene hat keinen Anspruch gegen die Verwaltungsbehörde auf Herausgabe des Falldatensatzes mit Token und dem Passwort.

Ein solcher Anspruch könnte sich aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und eines fairen rechtstaatlichen Verfahrens ergeben. Nach Auffassung des Gerichtes ist die Herausgabe aller Unterlagen insbesondere der Token nebst Passwort nicht erforderlich, um ein faires Bußgeldverfahren zu gewährleisten.

Es ist eine Abwägung der Interessen von Betroffenen und Behörden vorzunehmen, wobei auch das Interesse der Behörde zu berücksichtigen ist, in einem durch kurze Verjährungsfristen geprägten Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren möglichst zügig entscheiden und nicht durch teilweise ausufernde, über das gerechtfertigte Akteneinsichtsrecht hinausgehende Informations- und Herausgabeverlangen über Gebühr belastet und an der notwendigen Verfahrensförderung gehindert zu werden. In der bußgeldrechtlichen Praxis ist in zunehmendem Maße zu registrieren, dass Einwendungen von Betroffenen und Verteidigern zur Funktionsfähigkeit eines Geschwindigkeitsmessgerätes letztlich „ins Blaue hinein“ erhoben werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für Fehler oder Manipulationen an dem benutzten Messgerät nachvollziehbar vorgebracht werden oder sonst erkennbar sind. So liegt der Fall auch hier. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 04.08.2015 einen für eine Vielzahl von Fällen und Messgereäten vorformulierten Antrag auf Akteneinsicht gestellt.

Dagegen ist die obergerichtliche Rechtsprechung zur Überprüfung von standardisierten Messverfahren zu berücksichtigen. Der Richter ist im gerichtlichen Verfahren nur dann zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Messung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gehalten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messung in Abweichung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung stattgefunden hat. Solche Abweichungen sind vorliegend weder dargelegt, noch konkretisiert. Bestünde im gerichtlichen Bußgeldverfahren keine Veranlassung ein Sachverständigengutachten zur Ordnungsgemäßheit der Messung einzuholen, so kann auch nichts anderes für das behördlichen Verfahren gehen.

Die Herausgabe von regelmäßig geheim zu haltenden Passwörtern und Dateien der Behörde dürfte daher nur dann hinreichend zu rechtfertigen sein, wenn ein Sachverständigengutachten vom Gericht als notwendig angeordnet wird und nicht schon dann, wenn ein Betroffener ohne ausreichende Anhaltspunkte meint, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen. Insoweit muss der Betroffene darauf verwiesen werden, auf der Grundlage des Akteninhalts ein (Privat-) Sachverständigengutachten einzuholen, wie dies in der Praxis auch häufig geschieht. Der Sachverständige kann dabei prüfen, ob die Bedienungsanleitung eingehalten wurde oder sonstige äußere Anzeichen für eine Fehlmessung bestehen.

Das Physikalisch Technische Bundesamt hat bereits zur Funktion von Datei und Token im Zusammenhang mit der Auswertung der Geschwindigkeitsmessung mit dem hier verwendeten Gerät PoliScan wie folgt Stellung genommen:

„Man bezeichnet den verschlüsselten Hashwert der Falldatei als Signatur der Falldatei. Diese Signatur wird an die Falldatei angehängt. Optional darf die signierte Falldatei anschließend mit einem anderen Algorithmus verschlüsselt werden, um die Falldatei aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzern zugänglich zu machen. Diese optionale Verschlüsselung ist nicht Bestandteil der Zulassung.“

„Für die Signaturprüfung wird neben dem Referenz-Auswerteprogramm und der zu prüfenden Falldatei der zum geheimen Schlüssel zugehörige öffentliche Schlüssel benötigt. Der Eichbeamte registriert bei der Ersteichung eines jeden Messgerätes den zugehörigen öffentlichen Schlüssel. Er ist auch für die Verwaltung der von ihm registrierten öffentlichen Schlüssel verantwortlich. In Zweifelsfällen kann daher ein Gutachter über das zuständige Eichamt rekonstruieren, welcher öffentliche Schlüssel tatsächlich zu dem betrachteten Messgerät gehört.

Der Weg, auf dem Falldatei und zugehöriger Schlüssel in die Auswertestelle gelangen, ist nicht entscheidend für die Signaturprüfung. Für die unterschiedlichen Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte und Rotlichtüberwachungsanlagen haben die Hersteller verschiedene Wege realisiert.“

„Das hier beschriebene Auswerteverfahren ist Teil des standardisierten Messverfahrens und kann in Zweifelsfällen mit Hilfe des Referenz-Auswerteprogramms jederzeit wiederholt werden. Nur die signierte Falldatei gilt als unveränderliches Beweismittel. Ein Ausdruck des Inhalts der signierten Falldatei oder ein Ausdruck der grafischen Benutzeroberfläche des Referenz-Auswerteprogramms gelten nicht als unveränderliches Beweismittel.

Auf Grund der hier vorgestellten Sicherung der Authentizität und Integrität der Falldatei werden alle Manipulationen an Falldateien zweifelsfrei erkannt.“

Aus dieser Stellungnahme ergibt sich, dass die Falldatei „aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzer?n“ zugänglich zu machen ist. „In Zweifelsfällen“ könne ein Gutachten über das zuständige Eichamt rekonstruieren, welcher öffentliche Schlüssel tatsächlich zu dem betrachteten Messgerät gehört.

Schon hieraus ergibt sich das Erfordernis einer Begrenzung des Personenkreises, der Kenntnis von „Token und Passwörtern“ erlangt. Ihn auf gerichtlich beauftragte Sachverständige zu beschränken (und ihn nicht auf eine Vielzahl von Betroffenen und deren Verteidigern und den von ihnen privat eingesetzten Gutachtern auszuweiten), drängt sich auf.

Insgesamt ist daher die Herausgabe von Daten, Dateien und Token im behördlichen Bußgeldverfahren vorliegend nicht hinreichend begründet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war daher zu verwerten. (vgl. AG Lüdenscheid, Beschluss vom 30.01.2014 – Aktenzeichen 86 OWi 76/13, BeckRS 2015, 03008)

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 unanfechtbar.

Vie­len Dank an Herrn Rechts­an­walt Dirk Rahe, Sozietät Dr. Zwanziger & Collegen, Gera / Hermsdorf, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.