Diese Vorgehensweise eines Landkreises bei der Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen führte dazu, dass das Gericht ein Beweisverwertungsverbot verwirklicht sah und der Betroffene (dem im Bußgeldbescheid eine Überschreitung um 27 km/h außerorts vorgeworfen wurde) freigesprochen wurde (AG Parchim, Urteil vom 01.04.2015, Az. 5 OWi 2215/14): Demnach wurden die Daten der Geschwindigkeitsmessungen vom PoliScan Speed-Messgerät auf einen Stick überspielt und in der Behörde auf dem Zentralrechner des Landkreises abgelegt. Darauf konnte eine GmbH, die mit dem Landkreis einen entsprechenden Vertrag geschlossen hatte, zugreifen und die Daten auf ihren eigenen Server kopieren. Dort wurde mit dem TUFF-Viewer eine Bilddatei (JPEG) u. a. mit Messfoto, Ort- und Zeitangabe sowie Geschwindigkeit erstellt, die zurück an die Behörde ging und später auch dem Gericht vorgelegt wurde. Bereits in einem früheren Verfahren hatte der Richter die Behördenräume in einem Ortstermin besucht und festgestellt, dass dort niemand zur Messauswertung in der Lage sei. Damals wurde die Behörde darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise nach obergerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig sei. Daher wurde im vorliegenden Fall ein Beweisverwertungsverbot angenommen, zumal die Behörde die rechtswidrige Praxis zu vertuschen versuchte. Allerdings wurde der Freispruch kürzlich durch das OLG Rostock aufgehoben, welches auch ein Beweisverwertungsverbot verneint hat; die Entscheidung ist bisher noch nicht veröffentlicht.

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Amtsgericht Parchim in der Hauptverhandlung vom 01.04.2015, an der teilgenommen haben:

Richter am Amtsgericht als Vorsitzender
Rechtsanwalt als Verteidiger

für Recht erkannt:

Der Betroffene M. wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Angewendete Vorschriften:
§§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG

Gründe:

I.

Mit dem Bußgeldbescheid vom 06.05.2014 zum Aktenzeichen … hat der Landkreis Ludwigslust-Parchim dem Betroffenen vorgeworfen, am 28.01.2014 um 07.06 Uhr als Führer des Pkw VW mit dem amtlichen Kennzeichen auf der Bundesstraße 105 im Abschnitt 300 in Höhe des Kilometers 0,360 in Fahrtrichtung Grabow die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft von 70 km/h um 27 km/h überschritten zu haben.

Bei der Geschwindigkeitsmessung kam das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan Speed der Bauvariante M 1 mit der Identifikationsnummer 623742 zum Einsatz, das auf Antrag der Vetro Verkehrselektronik Wismar GmbH laut Eichschein Nr. 1-065/2013 vom 25.02.2013 bis zum 31.12.2014, und damit über den Zeitpunkt der stattgefundenen Messung hinaus, ordnungsgemäß geeicht gewesen ist.

Dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll vom 28.01.2014 ist zu entnehnmen, dass die Geschwindigkeitsüberwachung vom 22.01.2014 durch den Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung beim Landkreis Ludwigslust-Parchim angeordnet und durch den Messbeauftragten mit dem Bediensteten der Vetro GmbH, Herrn , als technischen Begleiter durchgeführt worden ist.

Das zum Einsatz gekommene Messgerät des Herstellers Vitronic Wiesbaden war dem Landkreis Ludwigslust-Parchim im Rahmen eines Miet- und Dienstleistungsvertrages vermietet und zur Nutzung überlassen.

Auf dem Messgerät war die für die Geschwindigkeitserfassung die hierzu erforderliche aktuelle Software der Version 3.2.4 installiert. Die Messdatenauswertung findet darauf unter Einsatz eines sogennaten Poliscan TUFFViewers in der dazugehörigen Softwareversion 3.45-1 statt. Nach Durchführung der Messung wurden die an der betreffenen Messstelle erlangten Daten auf einen Datenstick überspielt und mit dem Messprotokoll schließlich der Stabsstelle Verkehrsüberwachung beidem Landkreis Ludwigslust-Parchim zur weiteren Bearbeitung zugeleitet. Die Stabsstelle Verkehrsüberwachung hat die auf dem Stick befindlichen Messrohdaten auf dem Zentralrechner des Landkreises Ludwigslust-Parchim abgelegt. Im Rahmen ihrer Dienstleistungsverp?ichtung hat sodann die Vetro GmbH Wismar online auf den Zentralrechner des Landkreises Ludwigslust-Parchim zugegriffen und die Rohdaten auf den eigenen Datenserver überspielt. Unter Einsatz des dort installierten vorbezeichneten TUFFViewers hat die Vetro GmbH die Rohdaten sodann im Rahmen einer sog. Konvertierung ausgewertet und das in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Messfoto mit Messort- und Zeitangabe, Messergebnis, Fahrzeug-, Fahrer- und Kennzeichenabbildung erstellt und sodann abermals online dem Landkreis Ludwigslust-Parchim als Datenpaket im sogenannten jpeg-Format zur weiteren Bearbeitung im Bußgeldverfahren übermittelt.

II.

Der Betroffene war freizusprechen, da die ihm vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft mittels des erlangten Messergebnisses nicht festzustellen war. Vielmehr bestand hier ein Beweisverwertungsverbot. Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hat als Ordnungsbehörde im Bußgeldverfahren die Vetro GmbH Wismar als Privatfirma mit der Auswertung von Messdatenergebnissen beauftragt.

Das Bestehen eines entsprechenden Miet- und Dienstleistungsvertrages und die oben unter I. dargestellte Vorgehensweise bei der Durchführung des Mess- und Auswertungsverfahrens haben die im Rahmen der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und als Informatiker bzw. dortiger Geschäftsführer bestätigt.

Demnach hat der Landkreis Ludwigslust Parchim die Auswertung der Rohmessdaten, deren Ergebnis schließlich zur Einleitung des Bußgeldverfahrens gegen den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geführt hat, in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen gegeben. Dies ist nicht zulässig.

Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Eine Mitwirkung von Privatpersonen ist nur möglich, wenn die Verwaltungsbehörde „Herrin des Verfahrens” bleibt. Bei Gesohwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung des Messergebnisses der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).

Auch der Erlass des Wirtschaftministeriums zur Geschwindigkeitsüberwachung im öffentlichen Straßenverkehr in Mecklenburg Vorpommern in der Fassung vom 01.03.2003 regelt in Nummer 6.4, dass „die Auswertung der Beweismittel nur von den Behörden vorzunehmen” ist. Zwar sieht der Erlass in Ziffer 6.3 die Möglichkeit, die „Behandlung und Übergabe der Beweismittel” bei Hinzuziehung privater Anbieter zu vereinbaren, vor, wobei sicherzustellen sei, dass sämtliche Beweismittel der Behörde übergeben werden. Diese Regelung sieht aber gerade diese der voran zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung vor, dass der Landkreis Ludwigslust-Parchim sich vollumfänglich der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel im Rahmen des Auswertungsverfahrens begibt und letztlich nicht festgestellt werden kann, dass er diese zur weiteren Bearbeitung vollumfänglich zurück erhält. Diese Kontrolle ist dem Landkreis Ludwigslust-Parchim bei dieser
Verfahrensweise schlichtweg entzogen. Vielmehr erhält der Landkreis Ludwigslust-Parchim beider dargestellten Verfahrensweise die ermittelten Messdaten mit Fahrzeug-, Fahrer- und Kennzeichenabbildung extrahiert aus verschlüsseltem Rohdatenmaterial zur Verfügung gestellt, woraus dann das weitere Bußgeldverfahren betrieben wird. Die Auswertung der Messdaten ist dadurch bereits durch den privaten Dienstleistungsanbieter Vetro GmbH erfolgt und gerade nicht
von der Behörde, wie dies in Ziffer 6.4 Satz 1 des vorbezeichneten Erlasses geregelt ist.

Diese Verfahrensweise führt im vorliegenden Fall zur Annahme nicht nur eines Beweiserhebungs-, sondern auch Beweisverwertungsverbotes.

Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hat nicht nur bei Missachtung der Vorgaben aus dem vorbezeichneten Erlass die Datenauswertung exclusiv der Vetro GmbH als privaten Dienstleistungsanbieter übertragen, sondern dies auch in Kenntnis der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens zu vertuschen versucht.

Bereits in den vorangegangenen Verfahren 5 OWi 1913/14 und 5 OWi 1633/14 hat das Gericht am 9.12.2014 bei Durchführung eines Ortstermins in den Geschäftsräumen der Stabsstelle Verkehrsüberwachung bei dem Landkreis Ludwigslust-Parchim sich von dem tatsächlichen Einsatz eines dort installierten TUFFViewers im Rahmen der Datenauswertung zu überzeugen versucht. Dort ist dem Gericht durch den Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung, Herrn … die Auskunft erteilt worden, dass es wegen seiner fehlenden Sachkenntnis nicht möglich sei, das dortige Messdatenauswertungsverfahren zu demonstrieren. Auch die zuständigen Sachgebietsleiter stünden hierfür nicht zur Verfügung. Aus der dem Gericht vorliegenden, in der Hauptverhandlung verlesenen, von der Zeugin … an die Mitarbeiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung übersandten E-Mail vom 21.11.2014 ist zu entnehmen, dass anfragenden Rechtsanwälten die Auskunft zu erteilen sei, dass seitdem 15.10.2013 die Umstellung auf den neuen TUFFViewer 3.45-1 abgeschlossen worden sei und dieser seither für die ausschließliche Auswertung durch die Mitarbeiter des Landkreises Ludwigslust Parchim verwendet werde. Weiterführende Auskünfte an Rechtsanwälte sollten nicht erteilt werden. In seiner ebenfalls dem Gericht vorliegenden und in der Hauptverhandlung verlesenen weiteren E-Mail vom 02.02.2015 beklagt der vorgenannte Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung gegenüber den dortigen Mitarbeitern den Umstand, dass die interne E-Mail vom 21.11.2014 dem Amtsgericht Parchim vorläge und er prüfen lasse, wer für die Weitergabe der betreffenden E-Mail an „unbefugte Dritte“ verantwortlich sei.

Dem ist zu entnehmen, dass die Stabsstelle Verkehrsüben?vachung in Kenntnis der ihr bereits in vorangegangenen Verfahren mitgeteilten oben bezeichneten obergerichtlichen Rechtsprechung bewusst auch der Erlasslage zuwiderhandelnd die Datenauswertung ausschließlich in private Hände ohne eigene Kontrollmöglichkeit übertragen hat. Auch hat der Landkreis Ludwigslust-Parchim dem Gericht die Einsichtnahme in die mit der Vetro Wismar GmbH bestehende Dienstleistungsvereinbarung trotz in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Ersuchens mit Fristsetzung zum 28.3.2015, 12.00 Uhr, verweigert.

Dieses Verhalten des Landkreises Ludwigslust-Parchim als Ordnungsbehörde muss im vorliegenden Fall dazu führen, dass das Verfolgungsinteresse hinsichtlich Verkehrsordnungswidrigkeiten hinter dem persönlichen Rechtschutzinteresse des Betroffenen zurückzustehen hat und zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führen (vgl auch OLG Naumburg, Beschluss vom 7.5.2012 – 2 Ss (Bz) 25/12).

Die hier festgestellten bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstöße, bei denen letztlich auch grundrechtllche Sicherungen hoheitlichen Handelns planmäßig oder systematisch außer acht gelassen wurden, gebieten die Annahme eine Beweisverwertungsverbotes (BVerfG, Beschluss vom 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09), weshalb der Betroffene aus rechtlichen Gründen freizusprechen war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.