Christian Alexander Tietgen, Wikimedia Commons

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Bezüglich der Einsicht in bzw. Herausgabe von Messdateien oder Messserien gab es im letzten Jahr zahlreiche Beschlüsse, wobei eine Tendenz dahingehend zu erkennen ist, die angeforderten Daten herauszugeben. Da ist diese neue Entscheidung vom AG Neumünster für Betroffene unerfreulich: Die Behörde könne nicht gemäß § 62 OWiG zur Übermittlung des kompletten Messfilms verpflichtet werden, da es sich um eine (beantragte) Beweiserhebung und keine Akteneinsicht handele. Denn der Messfilm sei kein Bestandteil der Akten und müsse auch nicht zum Aktenbestandteil gemacht werden, wenn es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt und keine konkreten Anhaltspunkte für Bedienungsfehler ersichtlich sind. Ansonsten käme es bei “aufs Geratewohl ins Blaue hinein” behaupteter Messfehler zur “Überfrachtung” der Ermittlungsobliegenheiten der Ordnungsbehörden. Stattdessen müsse im gerichtlichen Verfahren ein entsprechender Beweisantrag gestellt werden (AG Neumünster, Beschluss vom 12.01.2016, Az. 23 OWi 1/16 E).

Der gemäß § 62 Abs. 1 OWiG statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, denn er richtet sich nicht gegen eine behördliche Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann gerichtet werden gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden. Ein solcher anfechtbarer Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde muss eine selbständige Bedeutung haben (vgl. Göhler/Seitz, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl. § 62 Rn. 2-4). Keine selbständige Bedeutung kommt dem Unterlassen beantragter Ermittlungsmaßnahmen oder die Ablehnung eines Beweisantrages zu, sie können nur mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf angefochten werden (Göhler/Seitz, a.a.O. Rn. 4), vorliegend also mit dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Stadt N… vom ….

Der Verteidiger begehrt für den Betroffenen die Übermittlung des kompletten Messfilms des Messgeräts PoliScan Speed, das die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen gemessen hatte. Hierbei handelt es sich entgegen der Ansicht des Verteidigers um eine noch nicht erfolgte – unselbständige – Beweiserhebung und nicht um eine Akteneinsicht, deren Versagung einer gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG unterläge. Der Messfilm ist nämlich noch nicht Bestandteil der Akten. Auch der Grundsatz der Aktenvollständigkeit gebietet es der Verwaltungsbehörde nicht, den Messfilm zum Aktenbestandteil und damit dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht zugänglich zu machen.

Bei dem Messverfahren PoliScan Speed handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Dies bedeutet, dass die Amtsgerichte in Schleswig-Holstein von der grundsätzlichen Verwertbarkeit der mit diesem Verfahren gewonnenen Ergebnisse ausgehen können. Darüber hinaus können Anträge, die auf Beiziehung und Offenlegung der geschützten Herstellerunterlagen zielen, oder Anträge auf Einholung entsprechender Sachverständigengutachten ohne Verstoß gegen den Amtsaufklärungsgrundsatz zurückgewiesen werden. Hierin läge auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder der Gewährung rechtlichen Gehörs. Einem Betroffenen ist nur insoweit Zugang zu Unterlagen zu gewähren, als das Gericht selbst sie für seine Entscheidung für bedeutsam hält und sie beizieht (OLG Schleswig, Beschluss vom 31.10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13 (172/13) juris).

Entsprechendes hat für die Verwaltungsbehörden zu gelten. Es würde die Ermittlungsobliegenheiten der Ordnungsbehörden überfrachten, bei einem standardisierten Messverfahren, auf dessen ordnungsgemäße Funktion im konkreten Fall sich die Behörde grundsätzlich verlassen kann, gleichwohl den Messfilm, also die Beweisfotos der vorangegangenen und folgenden Verstöße des gesamten Messzeitraums, beizuziehen und auszuwerten. Zwar kann auch bei einem standardisierten Geschwindigkeitsmessverfahren der Betroffene uneingeschränkt konkrete Bedienungsfehler oder die Missachtung von Herstellerangaben zum korrekten Einsatz der Geräte rügen (OLG Schleswig a.a.O.), was der Ordnungsbehörde Anlass gäbe, die Ermittlungen auf die näheren Umstände des Messvorgangs auszuweiten. Die aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellte Vermutung, die Messung könnte nicht ordnungsgemäß erfolgt sein, reicht hierfür allerdings nicht. So liegt der Fall hier aber, denn der Betroffene hat keine konkreten Anknüpfungstatsachen vorgetragen, dass der Messvorgang fehlerhaft gewesen sein könnte. Er will vielmehr eine allgemeine Fehlerkontrolle vornehmen. Diese ist ihm jedoch nur über den Weg eines Beweisantrags, nicht aber über eine Akteneinsicht zugänglich.

Insofern liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, da dem Betroffenen die Möglichkeit bleibt, sie begehrte Beweiserhebung im gerichtlichen Verfahren zu beantragen.

Auch die gerügte Verwendung der Auswertungssoftware PoliScan Office hat keine selbständige Bedeutung und ist deshalb nicht im Wege des § 62 OWiG anfechtbar. Hier sind die Rüge und das Einstellungsbegehren zudem ebenfalls ins Blaue hinein erhoben. Die Software PoliScan Office wird von der Herstellerfirma V… ausweislich der im Internet verfügbaren Informationen als aktuelle Auswertungssoftware angeboten. Insofern ist nicht ersichtlich, und die Verteidigung teilt auch nicht mit, mit welcher Software sonst die Auswertung hätte erfolgen sollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.