Dass im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsmessungen anfallende (Roh-)Daten, die dazu geeignet sein können, die Vermutung der Korrektheit der Messung zu widerlegen, einem Betroffenen auf Wunsch zugänglich gemacht werden müssen, kann beim AG Neunkirchen schon als ständige Rechtsprechung bezeichnet werden. Entsprechende Beschlüsse wurden hier und hier bereits im Blog veröffentlicht. Dieser Beschluss erging in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsmessung mittels ESO ES 3.0. Er bringt im Grunde nichts Neues, ist aber ausführlicher als bisher begründet und kann daher womöglich auch als Argumentationshilfe bei anderen Gerichten verwendet werden. Deshalb möchte ich ihn heute hier veröffentlichen (AG Neunkirchen, Beschluss vom 24.03.2016, Az. 19 OWi 523/15).

In der Bußgeldsache

Rechtsanwältin Julia Preßer, Lutherstr. 14, 66538 Neunkirchen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht – OWI-Sachen – Neunkirchen durch den Richter am 24.03.2016 beschlossen:

Der zentralen Bußgeldbehörde wird aufgegeben, der Verteidigung die Rohmessdaten der tatgegenständlichen Messung in unverschlüsselter Form zu übergeben.

Gründe:

Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät ESO 3.0 handelt es sich unbestrittener Maßen um ein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012. Az.: 1 Ss Bs 12/12). Dies hat zur Folge, dass es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist, so dass der Betroffene konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände vortragen muss, um eine Messung in Zweifel zu ziehen (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3.9. 2015 – 10 AR 1/15). Neben des Rechts auf Einsicht in das Messprotokoll und die Eichbescheinigung folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der durch das standardisierte Messverfahren vorliegenden Beweislastumkehr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Dies aber ist nur dann möglich, wenn dem Betroffenen die Messdateien in unverschlüsselter Form übergeben werden.

Wird dem Betroffenen aber die Herausgabe der Rohmessdaten in unverschlüsselter Form versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken. Dies aber stellt ein ureigenes Recht eines Betroffenen der (vgl. BVerfGE 46, 202). Aus Art. 6 EMRK folgt zudem das Gebot der sog. Waffengleichheit. Dies bedeutet, dem Betroffenen müssen die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen, wie dem Ankläger Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, den Tatvorwurf nachzuweisen.

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens aber obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen, damit der Betroffene etwaige Messfehler konkretisieren kann. Ohne eine Konkretisierung könnte ein Gericht aber einen Beweisantrag des Betroffenen auf Überprüfung der Messung als Ausforschungsbeweis betrachten (vgl. AG Weißenfels, Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15).

Daher sind dem Betroffenen im vorliegenden Fall die Rohmessdaten durch die Verwaltungsbehörde in unverschlüsselter Form zu übergeben

Vie­len Dank an Frau Rechts­an­wältin Julia Preßer, Rechtsanwaltskanzlei Halm & Preßer, Neunkirchen, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.