Wenn in Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen von der Verteidigung die Übersendung aller Messungen des Tattages beantragt wird, etwa um Veränderungen am Aufbau des Messgeräts feststellen zu können, werden gelegentlich – oft von den Verwaltungsbehörden – datenschutzrechtliche Bedenken an dieser Vorgehensweise angesprochen, meist aber von den Gerichten verneint. So auch beim AG Neunkirchen, dass schon keinen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anderer Verkehrsteilnehmer sieht, dafür aber ein überwiegendes Interesse von Betroffenen an einer Überprüfung ihrer Messung. Diese bzw. deren Verteidiger könnten daher verlangen, dass die Verwaltungsbehörde die Messserie inklusive der Rohdaten in unverschlüsselter Form auf ein ihr zur Verfügung gestelltes Speichermedium überspielt und an den Verteidiger zurücksendet (Beschluss vom 27.04.2016, Az. 19 Gs 55/16).

I. Der Zentralen Bußgeldbehörde wird aufgegeben, der Verteidigung die Messdateien inklusive der unverschlüsselten Rohdaten der gesamten Messserie des Tattages im ESO-Format zur Verfügung zu stellen. Dabei ist ein geeignetes Speichermedium vom Betroffenen oder seinem Verteidiger der Behörde zur Verfügung zu stellen. Das bespielte Speichermedium ist dem Verteidiger wiederum in seine Kanzleiräume zu übersenden

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

I.

Dem Betroffenen wird vorgeworfen am 28.11.2015 in Neunkirchen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h nach Toleranzabzug übertreten zu haben. Einen entsprechenden Bußgeldbescheid erließ die Behörde am 25.02.2016 Im Laufe des Vorverfahrens hat die Verteidigerin des Betroffenen Akteneinsicht begehrt und diese teilweise erhalten.

Verweigert wurden der Verteidigerin die beantragte Übersendung der Rohmessdateien der gesamten Messserie. Lediglich die Daten der tatgegenständlichen Messung wurden übersandt.

Die Verteidiger erklärte mit Schriftsatz vom 15.04.2016, dass die Rohdateien der gesamten Messserie benötigt werden, um etwaige Fehler und Unstimmigkeiten hinsichtlich der Messung darstellen bzw. ausschließen zu können. Die Verweigerung der Herausgabe dieser Daten verletzte den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren.

Die Bußgeldbehörde ist der Ansicht, aus Datenschutzgründen an der Herausgabe der Messdaten gehindert zu sein bzw. diese nur auf gerichtlichen Beschluss hin vornehmen zu können.

Der Verteidiger hat für den Betroffenen bereits mit Schriftsatz vom 15.04.2016 gegenüber der Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät ESO 3.0 handelt es sich unbestrittener Maßen um ein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012. Az.: 1 Ss Bs 12/12). Dies hat zur Folge, dass es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist, so dass der Betroffene konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände vortragen muss, um eine Messung in Zweifel zu ziehen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015 – 10 AR 1/15). Neben des Rechts auf Einsicht in das Messprotokoll und die Eichbescheinigung folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der durch das standardisierte Messverfahren vorliegenden Beweislastumkehr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Weißenfels , Beschluss v. 3. 9. 2015- 10 AR 1/15). Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zu einem kompletten Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten. Erst die Auswertung dieser Daten versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem, konkretem Sachvortrag (AG Wuppertal, Beschl. v. 07.12.2015 – 12 OWi 485/15).

Denn gerade durch die Überprüfung sämtlicher Messungen einer Messserie können bei einer möglicherweise auftretenden gewissen Fehlerhäufigkeit innerhalb einer Messserie Zweifel an der Richtigkeit sämtlicher Messungen der Messserie entstehen (AG Luckenwalde, Beschl. v. 07.10.2013-28 OWi 122/13).

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens aber obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind ihm auch die Daten der gesamten Messserie zur Verfügung zu stellen. Wird dem Betroffenen dies versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt oder aber zumindest unangemessen erschwert, aktiv die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken. Dies aber stellt ein ureigenes Recht eines Betroffenen dar (vgl. BVerfGE 46, 202).

Dem stehen datenschutzrechtliche Bedenken nicht entgegen.

Es ist nicht ersichtlich, welche (unzulässigen) Informationen oder Schlussfolgerungen der Verteidiger oder auch ein hinzugezogener privater Sachverständiger aus der Einsichtnahme der entsprechenden Daten ziehen sollten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft (AG Wuppertal aaO.).

Darüber hinaus überwiegt das Interesse des Betroffenen an der ordnungsgemäßen Überprüfung der Messung gegenüber den anderen auf den Messfilmen abgebildeten Fahrzeugführern, da diese sich durch die Teilnahme am Straßenverkehr selbst der Verkehrsüberwachung durch die Ordnungsbehörden ausgesetzt haben (AG Wuppertal aaO.).

Aus diesen Gründen sind der Verteidigung des Betroffenen die Daten der gesamten Messserie in unverschlüsselter Form auf einem geeigneten Datenträger zu übergeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.