Beim AG Gießen (Beschluss vom 27.10.2015, Az. 512 OWi 83/15) erhält der Verteidiger einiges, was sich in der Bußgeldakte normalerweise nicht befindet: zunächst die gesamte PoliScan-Speed-Messserie samt Token-Datei und Passwort, außerdem die Angabe der verwendeten Auswertesoftware und einen Beschilderungsplan der Messstelle. Um prüfen zu können, ob eine unzulässige Mitwirkung von Privatpersonen an der Messung bzw. Messauswertung stattgefunden hat, müssten außerdem die Personen, die die Messdaten entnommen und ausgewertet haben, benannt und eine etwaige Mitwirkung eines Privatunternehmens offengelegt werden (wobei sich in diesem Fall außerdem die Anforderung des Vertrags mit dem privaten Dienstleister empfiehlt, falls vorhanden). Soweit der Verteidiger außerdem eine Mitteilung beantragt hat, welche Messbediensteten beim Regierungspräsidium beschäftigt sind und in welchem Beschäftigungsverhältnis, sei der Antrag mangels Relevanz für das Verfahren unbegründet, offenbar wollte der Verteidiger hier Informationen zu Personen, die an der Messung oder Messauswertung des vorliegenden OWi-Verfahrens nicht beteiligt waren. Unbegründet mangels Relevanz im Verfahren sei der Antrag auch, soweit der Verteidiger um Mitteilung zu Veränderungen an Eichsiegeln, Reparaturen oder anderen Eingriffen in die Messanlage bittet. Allerdings scheint es dem Verteidiger insoweit um die Unterlagen gegangen zu sein, die normalerweise in einer Lebensakte aufzubewahren sind. Und hier hatten andere Gerichte ein Einsichtsrecht bejaht.

I. Dem Regierungspräsidium Kassel wird aufgegeben, dem Verteidiger die Messdatei als digitale Kopie im TUFF-Format mit dem dazu gehörigen Token und Passwort sowie die gesamte Messreihe nach Übersendung einer DVD zur Verfügung zu stellen sowie der Akte folgende Unterlagen bzw. Angaben beizufügen:

– Beschilderungsplan der Messstelle,

– Benennung der Personen, die die Aufzeichnungen aus der Messeinrichtung entnommen haben und die die Daten ausgewertet haben,

– Mitteilung, ob Private bei der Messung, dem Datentransport oder der Auswertung beteiligt waren,

– Benennung des verwendeten Auswerteprogramms.

Im Anschluss an die Vervollständigung der Akten ist dem Verteidiger erneut Akteneinsicht zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag als unbegründet verworfen.

II. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG ist teilweise begründet. Dem Verteidiger ist die vollständige Messdatei samt Token und Passwort sowie die gesamte Messreihe entsprechend § 46 OWiG i.V.m. § 147 StPO zur Verfügung zu stellen. Andernfalls würde das Recht auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn bei der vorliegenden Messung handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, sodass der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorzubringen hat. Hierzu ist er nur in der Lage, soweit eine Auswertung der Messung (ggf. durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen) erfolgen kann, die das Vorliegen der gesamten Messreihe voraussetzt.

Datenschutzrechtliche Gründe sprechen nicht gegen die Aushändigung der gesamten Messreihe sowie der Messdatei an den Verteidiger. Denn bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse des Betroffenen, das Recht auf rechtliches Gehör ausüben zu können. Dies ist nur gewährleistet, soweit das Akteneinsichtsrecht auch auf diese genannten Beweismittel, die nicht unmittelbarer Aktenbestandteil sind, erstreckt wird. Darüber hinaus dürften der Verwaltungsbehörde technische Mittel zur Anonymisierung der Daten auf der Messdatei zur Verfügung stehen. Weiter ist hier zu berücksichtigen, dass nicht dem Betroffenen, sondern dem Verteidiger im Rahmen des Akteneinsichtsrechts die Daten zur Verfügung gestellt werden, der als Person der Rechtspflege dem Datenschutz verpflichtet ist.

Weiter sind als Aktenbestandteile dem Verteidiger der Beschilderungsplan zur Verfügung zu stellen. Zudem hat der Verteidiger ein Recht auf Mitteilung, wer an dem Datentransport sowie der Auswertung beteiligt war, insbesondere ob hierbei bzw. an der Messung private Dritte mitgewirkt haben, da sich etwa aus der Beteiligung privater Dritter ein Beweisverwertungsverbot ergeben könnte.

Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich weiter auf den Beschilderungsplan sowie das verwendete Auswerteprogramm.

Die Schulungsbescheinigung des Messbeamten ist bereits Akteninhalt (Bl. 9 d.A.), sodass insoweit der Antrag unbegründet ist.

Weiter ist der Antrag unbegründet, soweit der Verteidiger um Mitteilung bittet, welche Messbediensteten beim Regierungspräsidium Kassel beschäftigt sind und in welchem Beschäftigungsverhältnis diese stehen. Denn diese Angaben sind für das Verfahren nicht erkennbar von Relevanz. Gleiches gilt hinsichtlich der Anfrage, ob Veränderungen an den Eichsiegeln vorgenommen worden sind und ob Instandsetzersiegel sowie Instandsetzerprotokolle vorliegen oder ob Reparaturmaßnahmen oder andere Eingriffe nach der letzten Eichung sowie nachträgliche Eichungen vorgenommen worden sind. Insoweit fehlt es bereits an der Relevanz dieser Unterlagen für eine mögliche Gerichtsverhandlung.

Soweit der Verteidiger darüber hinaus die unterbliebene Übersendung der Gebrauchsanweisung rügt, ist dem Gesuch durch die Möglichkeit der Einsichtnahme bzw. eines downloads hinreichend Rechnung getragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 467 StPO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 25 a Abs. 3 S. 3 StVG, 62 Abs. 2 S. 3 OWiG).