JENOPTIK Robot GmbH, Wikimedia Commons

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Mit der Entscheidung des AG Neunkirchen, Betroffene freizusprechen, weil in die Auswertung der Geschwindigkeitsmessungen der Stadt Neunkirchen auf rechtswidrige Art ein Privatdienstleister eingebunden sei, war die Staatsanwaltschaft in Saarbrücken offenbar nicht einverstanden. Sie hatte gegen den Freispruch eines Betroffenen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Da bei diesem Betroffenen, bei dem laut Bußgeldbescheid für die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 6 km/h eine Geldbuße von 15 EUR vorgesehen war, die Zulassung nur zur Fortbildung des materiellen Rechts in Betracht kam (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 OWiG), wurde ausgeführt, dass der Zulassungsgrund einschlägig sei, da eine irrtümliche Annahme eines Beweisverwertungsverbotes mit der Sachrüge geltend zu machen sei (was auch in einigen OLG-Entscheidungen angenommen wird). Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem beigetreten. Das OLG hat den Zulassungsantrag jedoch verworfen, da dieser ausschließlich Fragen das formelle Recht betreffend aufwerfe. Möglicherweise wird das OLG noch Gelegenheit erhalten, sich zu der Frage der privaten Auswertung selbst zu äußern (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13.09.2016 – Ss RS 21/2016 (28/16 OWi), Vorinstanz AG Neunkirchen, Urteil vom 27.04.201619 OWi 234/15).

Verteidiger: Tim Oliver Feber, Neunkirchen

1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 27. April 2016 wird als unbegründet

v e r w o r f e n.

2. Die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der dem Betroffenen darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 4. Mai 2015 setzte die Zentrale Bußgeldbehörde des Landesverwaltungsamts des Saarlandes gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 6 km/h eine Geldbuße in Höhe von 15,– € fest.

Auf seinen fristgerecht eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht Neunkirchen den Betroffenen mit Urteil vom 27. April 2016 freigesprochen. Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Das dem Tatvorwurf und der Täteridentifizierung zugrunde liegende Messfoto unterliege einem Beweisverwertungsverbot. Denn zum einen verstoße das von der Stadt Neunkirchen in Kooperation mit der Firma Jenoptik praktizierte Auswertungsverfahren gegen den saarländischen Erlass über die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung durch Ortspolizeibehörden, wobei der Verstoß derart schwer wiege, dass schon dies zur Unverwertbarkeit des Messfotos führe. Zum anderen sei nicht hinreichend sicher festzustellen, ob die Auswertung der Messdaten überhaupt noch hoheitlich erfolgt und die Messfotos unverändert sind.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit Schreiben vom 29. April 2016 – eingegangen per Telefax beim Amtsgericht am selben Tag – Rechtsbeschwerde eingelegt und „hilfsweise“ deren Zulassung beantragt. Nach am 14.06.2016 erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils an sie hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 16. Juni 2016 – eingegangen per Telefax beim Amtsgericht am selben Tag – die „Zulassung der Rechtsbeschwerde“ beantragt und diesen Antrag mit Schreiben vom 4. Juli 2016 – eingegangen beim Amtsgerichts am 07.07.2016 – mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Sie meint, das Amtsgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen, da weder das Auswertungsverfahren der Stadt Neunkirchen gegen den genannten Erlass verstoße noch das Vorliegen einer hoheitlichen Messung und Auswertung anzuzweifeln sei. Die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da die „Rechtsfrage, wie die Ordnungsbehörde bei der Hinzuziehung privater Firmen zur Bildaufbereitung der bei der Verkehrsüberwachung erlangten Rohmessdaten ihre Verantwortung auszufüllen hat, um Herrin des Verfahrens zu bleiben sowie ob das von einem Privatdienstleister aufbereitete Messfoto einer Geschwindigkeitskontrolle einem Beweisverwertungsverbot unterliegt, einer richtungsweisenden Stellungnahme“ bedürfe. „Bezüglich des konkret zu entscheidenden Falles“ bedürfe es „der Aufstellung eines abstrakt generellen Leitsatzes dergestalt, dass aus dem vorliegend erfolgten Vorgehen der Behörde – ungeachtet der Frage eines Beweiserhebungsverbotes – jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot resultiert.”

Der Verteidiger hat zu dem Zulassungsantrag mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016 Stellung genommen. Er meint, die Rechtsbeschwerde sei nicht zuzulassen. Der gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 OWiG allein in Betracht kommende Zulassungsgrund der Fortbildung materiellen Rechts liege nicht vor, da die Frage, ob die Verfahrensweise der Stadt Neunkirchen zur Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung rechtwidrig sei, eine solche des Verfahrensrechts sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen sowie das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neunkirchen zurückzuverweisen.

II.

Der form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete, mithin zulässige Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 OWiG, § 341 Abs. 1, § 344, § 345 StPO) bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Zulassungsgrund (§ 80 Abs. 1 OWiG) erkennen lässt.

1. Wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 OWiG) ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Fall bereits gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 OWiG ausgeschlossen, da gegen den Betroffenen wegen der Tat im Bußgeldbescheid lediglich eine Geldbuße in Höhe von 15,- € festgesetzt worden war. Auf den Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) kann sich die Staatsanwaltschaft – was sie auch im vorliegenden Fall nicht getan hat – von vornherein deshalb nicht stützen, weil Art. 103 Abs. 1 GG für sie nicht gilt (vgl. KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80 Rn. 42).

2. Auch eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) kommt auf die erhobene Sachrüge hin nicht in Betracht.

a) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und als abstraktionsfähige (durch Aufstellen von abstrakt generellen Leitsätzen) Regeln von praktischer Bedeutung sind (vgl. Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80 Rn. 3). Er ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht gegeben, wenn die sich stellenden Rechtsfragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt sind oder die Beurteilung des festgestellten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht entscheidend von den konkreten Gestaltungen des Einzelfalls abhängt (z.B. Senatsbeschlüsse vom 10. Februar 2010 – Ss (Z) 204/10 (18/10) -, vom 4. April 2011 – Ss (Z) 204/11 (13/11) -, vom 5. Mai 2011 – Ss (Z) 212/11 (46/11) -, vom 12. Dezember 2011 – Ss (Z) 244/11 (148/11) -, vom 6. März 2013 – Ss (Z) 203/13 (8/13) -, vom 16. Oktober 2013 – Ss (Z) 235/13 (78/13) -, vom 18. Februar 2014 – Ss (Z) 206/2014 (12/14 OWi) -, vom 2. Mai 2014 – Ss (Z) 209/2014 (27/14 OWi) -, vom 22. Juli 2014 – Ss (Z) 217/2014 (38/14 OWi) -, vom 20. Oktober 2015 – Ss RS 22/2015 (40/15 OWi) – und vom 20. Januar 2016 – Ss RS 29/2015 (58/15 OWi) -). Selbst eine falsche Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt für sich allein die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht, weil die Vorschrift nicht der Einzelfallgerechtigkeit dient (vgl. vorgenannte Senatsbeschlüsse sowie Beschlüsse des Senats vom 28. Februar 2007 – Ss (Z) 204/07 (10/07) -, vom 21. Januar 2008 – Ss (Z) 203/08 (6/08) – und vom 17. Januar 2011 – Ss (Z) 202/11 (4/11) -). Daneben muss die Nachprüfung im Sinne eines Sich-Aufdrängens „geboten“ sein, die Zulassung zur Überprüfung der Anwendung des Rechts also nicht etwa nur nahe liegen, vertretbar, sinnvoll oder wünschenswert sein (Göhler/Seitz, a. a. O., § 80 Rn. 15; KK-Senge, a. a. O., § 80 Rn. 39); selbst wenn zu einer bestimmten Sachverhaltskonstellation bisher keine obergerichtliche Entscheidung veröffentlicht ist, gebietet dies die Zulassung der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht (z.B. Senatsbeschlüsse vom 4. April 2011 – Ss (Z) 204/11 (13/11) -, vom 5. Mai 2011 – Ss (Z) 212/11 (46/11) -, vom 12. Dezember 2011 – Ss (Z) 244/11 (148/11) -, vom 6. März 2013 – Ss (Z) 203/13 (8/13) -, vom 16. Oktober 2013 – Ss (Z) 235/13 (78/13) -, vom 18. Februar 2014 – Ss (Z) 206/2014 (12/14 OWi) -, vom 2. Mai 2014 – Ss (Z) 209/2014 (27/14 OWi) -, vom 22. Juli 2014 – Ss (Z) 217/2014 (38/14 OWi) -, vom 20. Oktober 2015 – Ss RS 22/2015 (40/15 OWi) – und vom 20. Januar 2016 – Ss RS 29/2015 (58/15 OWi) -).

b) Gemessen hieran sind im vorliegenden Fall keine Rechtsfragen aufgeworfen, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts erforderlich erscheinen lassen. Auch die Staatsanwaltschaft sowie die Generalstaatsanwaltschaft vermögen entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Fragen materiellen Rechts nicht aufzuzeigen.

aa) Bei den hier in Rede stehenden und auch von der Staatsanwaltschaft zur Begründung ihres Zulassungsantrags formulierten Fragen, wie die Ordnungsbehörde bei der Hinzuziehung eines privaten Unternehmens zur Auswertung der bei einer Verkehrsüberwachung (hier: Geschwindigkeitsmessung) erlangten Messdaten ihre Verantwortung auszufüllen hat, um Herrin des Verfahrens zu bleiben, unter welchen Voraussetzungen ihr diesbezügliches Handeln rechtswidrig (gesetz- und/oder erlasswidrig) ist und ob in einem solchen Fall eines rechtswidrig erhobenen Beweises ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, handelt es sich nicht um Fragen des materiellen Rechts, sondern um solche des Verfahrensrechts. Zum Verfahrensrecht gehören die Vorschriften, die den Weg bestimmen, auf dem der Richter zur Entscheidungsfindung berufen und gelangt ist; alle anderen Vorschriften sind dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 8; Göhler/Seitz, a. a. O., § 80 Rn. 16f). Vorliegend geht es um die Rechtmäßigkeit des der Entscheidung vorangegangenen Verfahrens, nämlich um die Frage, ob im ordnungsbehördlichen Bußgeldverfahren erhobene Beweise rechtmäßig erlangt worden sind. Hierbei handelt es sich ebenso wie bei der Frage, ob aus einem etwaigen Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, um eine verfahrensrechtliche Frage, zumal die Erörterung, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, von der Frage des Vorliegens eines Beweiserhebungsverbots nicht getrennt werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 05.10.2009 – 3 Ss OWi 764/09, juris Rn. 6; Beschl. v. 11.11.2009 – 3 Ss OWi 856/09, juris Rn. 6; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.01.2011 – 5 Ss 732/10, Bl. 164 ff. d. A.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.10.2014 – 3 (4) SsRs 259/14 – AK 78/14, Bl. 168 d. A.; OLG Bamberg, Beschl. v. 04.08.2015 – 3 Ss OWi 874/15, juris).

bb) Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft auch nicht daraus, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbots bereits auf die Sachrüge hin zu überprüfen ist, soweit sich die einer solchen Annahme zugrunde liegenden Feststellungen und Wertungen aus den Urteilsgründen ergeben (vgl. BGHSt 51, 285 ff. -juris Rn. 13, 15; OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2007 – 4 Ss OWi 328/07, juris Rn. 4; OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 46 ff. -juris Rn. 5; NStZ-RR 2016, 185 f. -juris Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 261 Rn. 38; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 30). Dies ist allein dem Umstand geschuldet, dass ein Beweisverwertungsverbot eine rechtliche Ausnahme vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) darstellt (vgl. KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 34), so dass dessen fehlerhafte Annahme zu einem auf die Sachrüge hin zu beachtenden Fehler der Beweiswürdigung führt, soweit das Beweismittel aus der Beweiswürdigung ausgeschlossen wird. Daran, dass Rechtsverstöße bei der Erhebung eines Beweises sowie die hieran anknüpfende Frage, ob diese ein prozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehen, dem Verfahrensrecht zuzuordnen sind, ändert sich deshalb nichts (vgl. auch BGHSt 51, 285 ff. -juris Rn. 20).

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Tim Oliver Feber, Neunkirchen, für die Zusendung die­ser Entscheidung.