Der Pkw des Beklagten kollidierte in Höhe eines Fußgängerüberwegs mit dem Kläger, der diesen mit seinem Fahrrad überquerte. Mit der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung stellt sich das LG Nürnberg-Fürth auf den Standpunkt, dass für Radfahrer auf Fußgängerüberwegen kein Vorfahrtsrecht besteht. Es nahm eine hälftige Haftungsteilung vor, nachdem der Beklagte zu schnell bei tiefstehender Sonne auf den Überweg zugefahren war (Urteil vom 06.10.2016 – 2 S 8390/15)

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i.d. OPf. vom 23.10.2015, Az. 3 C 471/13, abgeändert:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.115,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.07.2013 zu bezahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weitergehenden künftigen materiellen und immateriellen Schaden – letzter, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist – aus dem Verkehrsunfall zwischen dem Kläger und dem Zeugen G am 12.06.2012 gegen 8.10 Uhr auf der … Straße in … Neumarkt in Höhe von 50% zu erstatten.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.07.2013 zu bezahlen.

IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte 28%, der Kläger 72%; von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt die Beklagte 44%, der Kläger 56%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.103,59 € festgesetzt.

Gründe:

Die überwiegend zulässige Berufung der Beklagten ist weitgehend begründet.

A. In tatsächlicher Hinsicht wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 4.336,19 € in der Hauptsache und Feststellung der vollen Einstandspflicht des beklagten Versicherers gerichteten Klage weitgehend stattgegeben. Es ist von einer uneingeschränkten Haftung der Beklagten ausgegangen, da der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs den die Fahrbahn mit seinem Fahrrad auf einem Fußgängerüberweg überquerenden Kläger – jedenfalls zum Teil – auf dem gepflasterten Bereich erfasst habe und damit nicht (mehr) auf der Fahrbahn.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung in vollem Umfang weiterverfolgt.

Eine Beweisaufnahme hat im Berufungsverfahren nicht stattgefunden. Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

B. Die Berufung ist unzulässig, soweit die Beklagte sich mit ihr gegen die vom Amtsgericht angenommene Schadenshöhe betreffend die Brille des Klägers wendet.

Hinsichtlich der Schadensposition „Brille“ erhebt die Berufungsbegründung keine substantiierten Angriffe i.S.d. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. Danach hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser – zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich – diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. (st. Rspr. z.B. BGH NJW-RR 2013, 509 und BGH MDR 2015, 416 je mwN). Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH MDR 2015, 416).

Bei einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung in hinreichend bestimmter Weise auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird. Teilbar ist ein Streitgegenstand auch bei einzelnen Schadensersatzpositionen – wie die streitgegenständlichen aufgrund eines Verkehrsunfalls; die Einheitlichkeit des Anspruchs steht dem nicht entgegen (OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 21935; OLG Brandenburg NZV 2009, 497).

Damit hätte es zur Höhe des Schadens an der Brille dezidierter Ausführungen bedurft, die die Berufungsbegründung jedoch nicht vorbringt. Sie erschöpft sich hierzu im Verweis auf das Vorbringen erster Instanz. Die Berufung ist insoweit also mangels ausreichender Berufungsbegründung bereits unzulässig (§ 522 Abs. 1 ZPO).

Im Übrigen ist die Berufung jedoch form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet (§§ 517, 519 f. ZPO).

C. In der Sache ist das Rechtsmittel überwiegend begründet.

I. Das Amtsgericht hat zu Unrecht eine volle Haftung der Beklagten angenommen. Zwar ist zutreffend, dass die Beklagte für die Betriebsgefahr des bei ihr versicherten Kraftfahrzeugs dem Kläger als Radfahrer nach § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG haftet. Die Kammer vermag sich aber der Ansicht des Amtsgerichts, wonach den Kläger kein Mitverschulden am Unfall trifft, nicht anzuschließen. Da ein Fahrrad keine wie einem Kraftfahrzeug anhaftende Betriebsgefahr hat, scheidet die Anwendbarkeit des § 17 StVG aus; stattdessen hat nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB eine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Radfahrers zu erfolgen (BGH r+s 2004, 122).

1. Der Kläger hatte als Radfahrer beim Überqueren der Fahrbahn bzw. Einfahren auf die Fahrbahn den Vorrang des Beklagtenfahrzeugs zu achten (§ 10 S. 1 StVO).

a) Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts wurde der Kläger vom Beklagtenfahrzeug nicht jenseits, sondern noch auf der Fahrbahn erfasst.

Der Kläger wurde vom Beklagtenfahrzeug erfasst, als sich das Rad jedenfalls noch mit dem Hinterrad auf dem gepflasterten „inneren Ring“ befand, der um die Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe herumgezogen ist.

Dies folgt für die Kammer aus dem auch insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten. Dieses geht angesichts der Spuren an Rad und KFZ davon aus, dass das Rad vom PKW im 90°-Winkel mittig über die gesamt Fahrzeugfront getroffen wurde. Selbst wenn sich das Beklagtenfahrzeug – sofern angesichts dessen Ausmaßen überhaupt möglich – in seiner gesamten Breite auf dem gepflasterten Bereich befand, muss sich der Kläger selbst mit seinem Rad – jedenfalls zum Teil – auch noch auf dem gepflasterten Bereich befunden haben. Andernfalls wäre die Kollision nur dadurch zu erklären, dass das Beklagtenfahrzeug den erhöhten Bordsteinrand um die Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe überfahren hätte. Dies hat aber nicht einmal der Kläger selbst behauptet. Außerdem hätten sich dann am Beklagtenfahrzeug wohl auch entsprechende Spuren finden lassen müssen, für die aber nichts dokumentiert ist.

Der gepflasterte Bereich gehört noch zur Fahrbahn. Für die Annahme einer Fahrbahn i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt es allein auf die baulichen Gegebenheiten an. Die Fahrbahn wird begrenzt durch die Fahrbahnbegrenzung (vgl. Zeichen 295) oder durch die baulichen Gegebenheiten, wie etwa Randstreifen, den Bordstein oder sonstige bauliche Gestaltungen (Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 2 StVO Rn. 11).

Grundsätzlich ist eine solche baulich-abgrenzende Ausgestaltung auch durch einen anderen Oberflächenbelag – wie streitgegenständlich eine Kopfsteinpflasterung – durchführbar. Gegen ein solches Verständnis sprechen hier aber mehrere gewichtige Umstände: Zum einen wäre dann auch der – aus Sicht des Beklagtenfahrers – am rechten Rand befindliche identisch gepflasterte Bereich nicht der Fahrbahn zuzuordnen, obwohl sich dieser eindeutig diesseits einer Fahrbahnbegrenzung i.S.d. Zeichens 295 befindet. Zum anderen wird die Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe durch einen erhöhten Bordstein, der im Bereich der Querung abgesenkt ist, in üblicher und besonders markanter Weise von der Fahrbahn abgegrenzt. Schließlich ist noch zu sehen, dass anderenfalls auch der gepflasterte Bereich in seiner gesamten Ausbreitung – also auch um die Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe herum – als außerhalb der Fahrbahn liegend anzusehen wäre. Man kann angesichts der baulichen Ausgestaltung aber nicht ernstlich zu der Annahme kommen, dass der gesamte Bereich um die Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe herum als nicht zur Fahrbahn gehörig und damit für zu Fuß Gehende freigegeben wäre.

b) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass ihm auf dem von ihm überfahrenen Fußgängerüberweg gegenüber dem Beklagtenfahrzeug ein Vorrecht zustand.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO haben an Fußgängerüberwegen Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Im Umkehrschluss aus § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO wird klar, dass für erkennbar nutzungswillige Radfahrer auf Fußgängerüberwegen nach § 26 Abs. 1 StVO kein Vorfahrtsrecht besteht (OLG Düsseldorf NZV 1998, 296; OLG Hamm NZV 1993, 66; LG Frankenthal Schaden-Praxis 2011, 280; AG Stralsund Schaden-Praxis 2012, 250); Radfahrer sind aufgrund ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit nicht in gleicher Weise besonders schutzbedürftig wie Fußgänger und Rollstuhlfahrer (Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 26 StVO Rn. 32). Die vereinzelt gebliebene Entscheidung des OLG Düsseldorf (28.04.1986 – 1 U 52/85MDR 1987, 1029), wonach auch Radfahrer grundsätzlich auf Fußgängerüberwegen den Vorrang gegenüber dem fließenden Verkehr genießen, sofern für diesen trotz der Geschwindigkeit des Radfahrers rechtzeitig erkennbar ist, dass der Radfahrer die Fahrbahn auf dem Fußgängerüberweg überqueren will, wird zu Recht nicht anerkannt (statt vieler OLG Hamm NZV 1993, 66; OLG Düsseldorf NZV 1998, 296). Sie widerspricht dem klaren Wortlaut und Sinn der Norm und würde zu unnötiger und unerträglicher Rechtsunsicherheit an Fußgängerüberwegen führen (Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 26 StVO Rn. 33). Um ein Vorfahrtsrecht beanspruchen zu können, müssen Radfahrer vom Fahrrad folglich absteigen und das Rad schieben (OLG Düsseldorf NZV 1998, 296; AG Stralsund Schaden-Praxis 2012, 250; Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 26 StVO Rn. 34).

c) Der Kläger hat gegen § 10 S. 1 StVO verstoßen. Danach hat, wer über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Der Kläger wollte von dem senkrecht zum Fußgängerüberweg über einen Gehweg hinführenden Weg kommend auf bzw. über die Fahrbahn fahren. Er musste dabei über den im weiteren Bereich der Verkehrsinsel bzw. Querungshilfe abgesenkten Bordstein fahren.

Die hierbei ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen hat der Kläger verletzt. Er ist nach seinen eigenen Angaben in die Fahrbahn – auf den Fußgängerüberweg – eingefahren, obwohl er das Beklagtenfahrzeug als bereits nahe herangekommen erkannt hatte. Ob der Kläger dabei davon ausging, dass das Beklagtenfahrzeug seine Geschwindigkeit noch reduzieren oder aber etwas nach rechts ausweichen würde, so dass dem Kläger eine Überquerung der Fahrbahn noch rechtzeitig möglich sein würde, kann dahinstehen. So oder so ist der Kläger einer schuldhaften Fehleinschätzung erlegen. Er hätte damit rechnen können und müssen, dass herannahender Fahrzeugverkehr ihm als nicht vorrangberechtigten Verkehrsteilnehmer nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuwenden würde, wie etwa einem am Fußgängerüberweg bevorrechtigten zu Fuß Gehenden.

Den Kläger kann dabei nicht entlasten, dass er den Fußgängerüberweg nach den Feststellungen des Sachverständige nur mit 5 – 7 km/h, also Schrittgeschwindigkeit (vgl. OLG Köln VRS 68, 382: 4–7 km/h; OLG Hamm NZV 2001, 302: 7 km/h) überquert hat. Die Argumentation, dass durch das Beklagtenfahrzeug auch ein berechtigt den Fußgängerüberweg überquerender Fußgänger erfasst worden wäre, ist nicht zulässig: Das Verhalten des Klägers, der ohne daraus abzuleitendem Vorrecht einen Fußgängerüberweg radelnd überquert hat, ist so zu bewerten, als wäre der Fußgängerüberweg gar nicht da. Der Kläger hat sich letztlich also so zu behandeln lassen, als hätte er an einer beliebigen Stelle eine dem fließenden Verkehr dienende Fahrbahn überquert (LG Frankenthal Schaden-Praxis 2011, 280). Dann aber kann seine Unaufmerksamkeit oder Fehleinschätzung das herannahende Beklagtenfahrzeug betreffend nicht hinweggedacht werden.

3. Im Rahmen der nach § 9 StVG, § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung (vgl. BGH v. 18.11.2003 – VI ZR 31/02, r+s 2004, 122) ist andererseits zu berücksichtigen, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zusätzlich unfallkausal durch einen Geschwindigkeitsverstoß seines Fahrers erhöht ist.

Mit dem unangegriffenen unfallanalytischen Sachverständigengutachten ist davon auszugehen ist, dass das Beklagtenfahrzeug zum Kollisionszeitpunkt eingebremst noch ca. 30 km/h (+/- 3 km/h) schnell war. An der Unfallstelle war unstreitig (s. auch Polizeiakte S. 2) die Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 30 km/h begrenzt. Damit drängt sich ein Geschwindigkeitsverstoß zwar geradezu auf, ist aber wohl nicht mit hinreichender Überzeugung als gesichert annehmbar.

Ungeachtet dessen hat der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs aber jedenfalls gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 S. 1, 2, 4 StVO verstoßen. Danach darf, er ein Fahrzeug führt, nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Sichtverhältnissen anzupassen. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.

Hier war es nach eigenen Angaben des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs so, dass dieser an der Unfallstelle angab, von der aufgehenden Sonne geblendet gewesen zu sein. Dies wird durch die in der Polizeiakte im Hinblick darauf gefertigten Lichtbilder (S. 14, Bild 1) auch eindrucksvoll unterstrichen. Ein Kraftfahrer, der wegen Sonnenblendung einen (Teil eines) Fußgängerüberwegs nicht übersehen kann, darf sich an diesen dann aber nur besonders vorsichtig annähern (vgl. OLG Frankfurt v. 22.09.1976 – 2 Ss 359/76, juris). Die vom Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gefahrene Geschwindigkeit von ca. 30 km/h wird dem nicht gerecht. Dies wird durch den Umstand unterstrichen, dass sich der nach seinen Angaben überraschte Fahrer zunächst selbst nicht erklären konnte, warum er den Kläger so spät gesehen hat.

Dieser Verstoß gegen das Sichtfahrgebot hat sich auch unfallursächlich ausgewirkt, da dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs bei angepasster Geschwindigkeit ein rechtzeitiges Reagieren ohne weiteres möglich gewesen wäre oder jedenfalls der noch knapp vom Fahrzeug erfasste Kläger mit seinem Rad die Fahrbahn noch rechtzeitig hätte verlassen können.

3. In der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind einerseits die durch einen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs, andererseits der gewichtige Vorrangverstoß des Klägers zu berücksichtigen. Die Kammer ist der Ansicht, dass letztlich beide Beiträge gleiches Gewicht haben. Dies bedeutet im Ergebnis eine hälftige Haftungsteilung (vgl. z.B. auch LG Frankenthal Schaden-Praxis 2011, 280).

II. Auch der Höhe nach ist die Berufung zum Teil erfolgreich. Zu den Schadenspositionen im Einzelnen:

1. Die Berufungsbegründung wendet sich im Ergebnis zu Recht gegen die Schätzung des Wiederbeschaffungswertes des beim Verkehrsunfall totalbeschädigten Rades des Klägers. Zwar sieht die Kammer anhand der vorgelegten Lichtbilder und der Anschaffungsrechnung (Zweitschrift) des Rades eine ausreichende Grundlage für eine Schätzung des Wiederbeschaffungswertes nach § 287 ZPO. Dies ist der Betrag, den der Geschädigte der auf dem Gebrauchtmarkt aufwenden muss, um von einem seriösen Händler ein dem Unfallrad entsprechendes Ersatzrad nach technischer Überprüfung zu erwerben (vgl. BGH r+s 1978, 174 für KFZ).

Die Kammer ist der Ansicht, dass der für das ca. 8 Jahre alte Herkules-Tourenrad angesetzte Betrag von 250 € durch das Amtsgericht bei einem damaligen Neupreis von 999 € zu hoch ist. Der Wertverlust von Rädern im Mittelpreissegment ist erheblich, zumal sich in den letzten Jahren dort – nicht zuletzt durch den Boom der Pedelecs – nicht unerhebliche Marktverschiebungen ergeben haben. Die Kammer schätzt den Wiederbeschaffungswert nach alledem auf 150 €.

2. Zu Unrecht hat das Amtsgericht dem Kläger den Betrag für den Kostenvoranschlag für die Radreparatur mit den vom Kläger bezahlten 111,19 € angesetzt.

Der nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderliche Betrag für einen solchen Kostenvoranschlag kann nicht höher sein als der Betrag, den der Kläger tatsächlich hätte aufwenden müssen (vgl. BGH r+s 2015, 213).

Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass ursprünglich für den Kostenvoranschlag ein Betrag von 80 € vereinbart worden sei (vgl. § 632 Abs. 3 BGB). Ihm seien dann aber durch das Fahrradgeschäft doch 111,19 € in Rechnung gestellt worden, die er bezahlt habe, da er sich nicht habe streiten wollen. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

Dieses „Zugeständnis“ des Klägers kann aber nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Der Kläger hat gezeigt, dass ein Kostenvoranschlag für die vereinbarten 80 € zu haben gewesen wäre. Ein höherer Betrag kann deshalb nicht als erforderlich anerkannt werden.

3. Die Einwände der Berufungsbegründung gegen das vom Amtsgericht in Ansatz gebrachte Schmerzensgeld von 2.000 € (bei voller Haftung der Beklagten) greifen nach Ansicht der Kammer jedoch nicht durch.

Im Vordergrund der Bemessung steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung durch die Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden (BGH NJW 2004, 1243) und das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten (BGH r+s 2015, 260; BGH VersR 1998, 1034), insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl etwaiger Operationen, die Dauer stationärer und ambulanter Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (OLG Saarbrücken BeckRS 2008, 1338) und das Ausmaß eines Dauerschadens (OLG Hamm BeckRS 2008, 5175); weiter sind im Rahmen einer Gesamtschau die Auswirkung des Unfalls auf den jeweils Betroffenen in dessen spezieller Lebenssituation und das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers (BGH r+s 2015, 260; BGH NJW 1998, 2741) zu betrachten (vgl. BGHZ 18, 149, 154 OLG Nürnberg VersR 1998, 231).

Der Betrag von 2.000 € ist angesichts der unstreitigen Verletzungen – den Sehnenanriss an der Schulter hat das Amtsgericht mit dem Gutachter nicht als unfallkausal berücksichtigt – und der doch relativ langen Dauer der Beschwerden nicht übersetzt. Dabei sieht die Kammer auch, dass die Dauer der Beschwerden nur zum Teil direkt auf den Unfall zurückzuführen sind, zum Teil aber auch der Vordisposition des Klägers geschuldet sind.

In der gebotenen Gesamtabwägung hat die Kammer allerdings auch das Mitverschulden des Klägers in Höhe von 50% einzustellen (BGH NJW 2002, 3560). Insgesamt hält die Kammer damit ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 € für sachgerecht.

Insgesamt hat der Kläger damit unter Berücksichtigung der Haftungsquote einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.115,00 €.

4. Nach dem Vorstehenden ist der im Übrigen mit der Berufungsbegründung nicht angegriffene Feststellungsantrag auf die Haftungsquote von 50% zu korrigieren.

5. Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten. Dabei ist hier von einem berechtigten Gegenstandswert von 1.365,00 € (zugesprochene 1.115,00 € zzgl. 50% des Feststellungsantrags mit 250,00 €) auszugehen. Dies bedeutet nach RVG „alt“ (Mandatierung des Klägervertreters vor dem 01.08.2013) bei einer 1,3 Gebühr und 20 € Euro Auslagenpauschale brutto einen Betrag in Höhe von 155,30 €.

6. Der Zinsanspruch ist zwischen den Parteien dem Grunde und der Höhe nach nicht im Streit.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.