Eine bisher eher wenig bekannte Vorschrift ist § 48 StVO (Vorladung zum Verkehrsunterricht), was sich in Zukunft nach den Empfehlungen mehrerer Arbeitskreise des Verkehrsgerichtstags ändern könnte. Dazu passt diese Entscheidung des VG Frankfurt (Oder) (Gerichtsbescheid vom 26.07.2016 – VG 2 K 1534/15): Gegen den Kläger wurde durch Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h eine Geldbuße und ein Fahrverbot festgesetzt. Weitere Verstöße waren im Fahreignungsregister nicht verzeichnet. Dennoch erging gegen ihn eine Vorladung zum Verkehrsunterricht, da auf Grund der Erheblichkeit des Verkehrsverstoßes, seinem vorsätzlichen Handeln sowie der bewussten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ein Erziehungsbedürfnis vorhanden sei. Die dagegen gerichte Anfechtungsklage hatte Erfolg. Anders als bei Wiederholungstätern komme bei einem Ersttäter der Verkehrsunterricht nur bei besonderen Anhaltspunkten in Betracht, denn eine erzieherische Wirkung gehe in der Regel bereits von der Ahndung des Verstoßes aus.

1. Der Bescheid des Beklagten vom 17. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2015 wird aufgehoben.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung zur Teilnahme am Verkehrsunterricht.

Der Kläger überschritt am 15. Juli 2014 mit einem Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h. Gegen den daraufhin gegen den Kläger ergangenen Bußgeldbescheid vom 28. Juli 2014 legte er keinen Einspruch ein, sodass dieser am 14. August 2014 rechtskräftig wurde. Die festgesetzte Geldbuße beglich er, seinen Führerschein gab er auf Grund des angeordneten Fahrverbots beim Beklagten ab.

Mit Schreiben vom 04. Dezember 2014 wurde der Kläger zur vom Beklagten beabsichtigten Vorladung zum Verkehrsunterricht angehört. Mit Anwaltsschreiben vom 11. Dezember 2014 äußerte sich der Kläger dahingehend, dass die Vorladung zum Verkehrsunterricht unverhältnismäßig sei. Der Kläger habe Einsicht und Kritikfähigkeit hinsichtlich des begangenen Verkehrsverstoßes bewiesen, indem er Geldbuße und Fahrverbot akzeptiert habe.

Mit Anwaltsschreiben vom 29. Dezember 2014 legte der Kläger eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister vom 16. Dezember 2014 vor, die für ihn lediglich die mit Bußgeldbescheid vom 28. Juli 2014 getroffenen Entscheidungen auswies. Ergänzend trug der Kläger vor, dass besondere Anhaltspunkte für die Notwendigkeit, erzieherisch auf ihn einzuwirken, nicht erkennbar seien. Besondere Auffälligkeiten weise sein Verhalten nicht auf. Weder folge diese aus den Feststellungen der Polizei noch aus seinem Nachtatverhalten.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger die Teilnahme am Verkehrsunterricht innerhalb eines Monats nach Bestandskraft an und setzte die Kosten für die Entscheidung auf 28,55 € fest. Die Anordnung sei verhältnismäßig. Auch ein erstmaliger Verstoß könne Anlass zur Anordnung von Verkehrsunterricht sein, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestünden, dass bei dem Betroffenen ein spezielles Erziehungsbedürfnis vorhanden sei. Das Erziehungsbedürfnis ergebe sich im Fall des Klägers aus der Erheblichkeit des Verkehrsverstoßes, seinem vorsätzlichen Handeln sowie der bewussten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Die Zahlung der Geldbuße und die Abgabe des Führerscheins sagten nichts über die Einsicht des Klägers für Verkehrsregeln aus.

Gegen den am 19. Februar 2015 den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellten Bescheid legte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 19. März 2015 Widerspruch ein, der beim Beklagten am selben Tag per Fax einging. Den Widerspruch begründete der Kläger im Kern mit den gleichen Argumenten, die er auch im Anhörungsverfahren vorbrachte. Ergänzend verwies er auf die Verwaltungsvorschrift zu § 48 StVO, die eine Nachschulung für die Fälle einsichtiger Betroffener nicht vorsehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2015, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. September 2015 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Entgegen der Ansicht des Klägers sei für die Vorladung infolge eines einmaligen Verkehrsverstoßes nicht zusätzlich Uneinsichtigkeit erforderlich. Es genüge ein grober Verstoß gegen eine grundlegende Verkehrsvorschrift. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h sei ein solcher grober Verstoß.

Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2015, bei Gericht am selben Tag per Fax eingegangen, hat der Kläger Klage erhoben. Er wiederholt zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen sein vorgerichtliches Vorbringen. Ergänzend trägt er vor, § 48 StVO werde laut eines Presseberichts nur im Landkreis des Beklagten intensiv angewandt. Es liege somit eine Ungleichbehandlung der Brandenburger Bürger vor.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 17. Februar 2015 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 28. September 2015 aufzuheben,

sowie

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Zur Verteidigung verweist er im Wesentlichen auf seine vorgerichtlichen Ausführungen. Ergänzend trägt er vor, dass er in gleichgelagerten Fällen grundsätzlich zur Teilnahme am Verkehrsunterricht vorlade. Es liege daher eine Selbstbindung der Verwaltung vor. Eine Abweichung davon ohne sachlichen Grund im vorliegenden Fall würde einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass gem. § 84 VwGO beabsichtigt sei, über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Gründe:

Das Gericht konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten (§ 84 Abs. 1 S. 2 VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gem. § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Anordnung der Teilnahme am Verkehrsunterricht ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die ist § 48 StVO. Danach ist, wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, da der Kläger am 15. Juli 2014 mit einer festgestellten Geschwindigkeit von 84 km/h die innerhalb geschlossener Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h überschritt und damit gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstieß.

Dass dem Beklagten zustehende und vom Gericht unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gem. § 114 VwGO zu überprüfende Ermessen hat er jedoch vorliegend fehlerhaft ausgeübt, denn er hat von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Zweck der Vorschrift des § 48 StVO ist es, einen Kraftfahrer, der nicht nur geringfügige Lücken in der Kenntnis der Verkehrsregeln zeigt oder deren Bedeutung verkennt oder aus charakterlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Erkenntnissen gemäß zu handeln, erzieherisch zur Beseitigung der bestehenden Mängel zu beeinflussen (vgl. VG München, Urteil vom 16. Mai 2012 – M 23 K 12.960 –, Rn. 32, juris).

Bei der Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht ist das behördliche Ermessen daher fehlerhaft ausgeübt, wenn keine Anhaltspunkte vorhanden und von der Behörde aufgezeigt sind, dass ein entsprechendes Erziehungsbedürfnis bei dem Betroffenen besteht (vgl. Beschluss der Kammer vom 7. Juni 2010, – 2 L 86.10 -, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 1990 – 11 B 90.655 –, juris).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Ahndung der Verkehrsverstöße nach den Strafvorschriften oder den Bestimmungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes einen erzieherischen Zweck hat. Die erzieherische Wirkung der Strafe oder des Bußgelds muss daher bei der Entscheidung über die Anordnung des Verkehrsunterrichts mitberücksichtigt werden. Besteht kein Anhaltspunkt für das Gegenteil, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass diese Wirkung auf den Betroffenen ausreicht (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. März 2008 – 11 ZB 06.499 –, Rn. 6, juris). Bei einem „Wiederholungstäter“ besteht regelmäßig Anlass zur gegenteiligen Annahme, weil der Betreffende durch die Wiederholungstat gezeigt hat, dass der Anstoß durch die strafgerichtliche oder behördliche Ahndung seiner Tat nicht ausreichen wird. Auch bei einem „Ersttäter“ können zwar die Umstände der Tatbegehung, das Verhalten nach der Tat oder die Einlassung des Täters zur Tat Anlass zur Anordnung von Verkehrsunterricht sein; jedoch nur, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei dem Betreffenden ein spezielles Erziehungsbedürfnis vorhanden ist (vgl. VG München, Urteil vom 18. Januar 2012 – M 23 K 09.5977 –, Rn. 23, juris).

Ein solches (spezielles) Erziehungsbedürfnis im letztgenannten Sinne auf Grund besonderer Anhaltspunkte ist bei dem Kläger weder ersichtlich noch wurde es von dem Beklagten aufgezeigt.

Der Kläger ist – soweit bekannt – erstmalig im Straßenverkehr auffällig geworden. Der Kläger war auch von vornherein einsichtig; er hat insbesondere weder bestritten, dass innerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt, noch hat er sich dahingehend geäußert, die Vorschrift nicht ernst zu nehmen. Er hat sich nach dem vorliegenden Verwaltungsvorgang auch nicht gegenüber dem Beklagten aus Anlass seiner Tat auf andere Weise renitent gezeigt. Woraus der Beklagte den Schluss zieht, dass im Falle des Klägers noch (verkehrs-)erzieherische Maßnahmen ergriffen werden müssten, ist hier daher nicht nachvollziehbar.

Soweit der Beklagte von einem groben Verkehrsverstoß ausgeht und in diesem Zusammenhang auf die Bewertung der Tat mit zwei Punkten nach dem Fahreignungsregister und das entsprechende Fahrverbot verweist, übersieht er die erzieherische Wirkung, die bereits gerade durch den entsprechend hohen Punktewert der Tat und das Fahrverbot ausgeht. Ein besonderes, über diese erzieherische Wirkung hinausgehendes Erziehungsbedürfnis wird somit von dem Beklagten nicht aufgezeigt.

Soweit der Beklagte dem Kläger die vorsätzliche Tatbegehung unterstellt, gibt es dafür schon keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Gem. § 1 Abs. 2 S. 2 BKatV ist bei Taten nach Abschnitt I des Bußgeldkatalogs, zu denen der hier maßgebliche Verstoß gem. der lfd. Nr. 11 zählt, grundsätzlich von fahrlässiger Begehung auszugehen. Entsprechend hat die Bußgeldstelle das Bußgeld gemäß dem Regelsatz festgesetzt. Selbst wenn man zu Lasten des Klägers davon ausgehen würde, dass er vorsätzlich gehandelt hat, folgt daraus allein ebenfalls kein spezielles Erziehungsbedürfnis. Gemäß § 3 Abs. 4a BKatV heißt es: Wird ein Tatbestand des Abschnitts I des Bußgeldkatalogs vorsätzlich verwirklicht, für den ein Regelsatz von mehr als 55 Euro vorgesehen ist, so ist der dort genannte Regelsatz zu verdoppeln. Mit der entsprechend verschärften Strafe geht also wiederum bereits eine entsprechend gesteigerte erzieherische Wirkung einher, die nach den vorstehenden Ausführungen jedenfalls bei Ersttätern nur bei besonderen Anhaltspunkten um eine weitere erzieherische Maßnahme nach § 48 StVO zu ergänzen ist.

Gleiches gilt sinngemäß für den Vorwurf, der Kläger habe bewusst andere Verkehrsteilnehmer gefährdet.

Soweit der Beklagte schließlich auf seine abweichende Verwaltungspraxis und eine entsprechende Selbstbindung verweist, gebietet auch dieser Umstand keine andere Beurteilung. Vielmehr ist diese Verwaltungspraxis ihrerseits rechtswidrig, soweit sie dazu führt, dass gegenüber Ersttätern die Teilnahme am Verkehrsunterricht angeordnet wird, ohne dass Umstände der Tatbegehung, das Verhalten nach der Tat oder die Einlassung des Täters zur Tat Anlass zu einer solchen Anordnung geben und besondere Anhaltspunkte für ein spezielles Erziehungsbedürfnis bei dem Betreffenden bestehen.

Die Kostenfestsetzung im Bescheid in Höhe von 28,55 € findet ihre Grundlage in § 1 Abs. 1 GebOSt i. V. m. Gebühren-Nummer 262 der Anlage zu § 1 GebOSt. Sie ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die zugrundeliegende Anordnung rechtswidrig ist (s.o.).

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorfahren war gem. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig zu erklären. Von einer Notwendigkeit im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist dann auszugehen, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten vom Standpunkt eines verständigen, nicht rechtskundigen Beteiligten als erforderlich und nicht willkürlich erscheint. Dieser gedankliche Ausgangspunkt führt dazu, dass die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den von einem belastenden Verwaltungsakt betroffenen Bürger im Regelfall zu bejahen ist. Anhaltspunkte, die hier eine Ausnahme rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Die gerichtliche Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

B e s c h l u s s :

Der Streitwert wird auf 2.500.00 € festgesetzt.

G r ü n d e :

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht hat sich insoweit an Ziffer II 46.12 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf) orientiert und ist von einem Streitwert in Höhe von 2.500,00 Euro ausgegangen.