Nachdem die Entscheidungen zur Akteneinsicht und Einsicht in Messunterlagen in der letzten Zeit nicht mehr durchweg erfreulich waren, hat mir der Kollege Schwarz aus Saarbrücken vor einigen Tagen einen schönen Beschluss des AG Daun zukommen lassen. Danach muss die Bußgeldstelle nach Zusenden eines Speichermediums durch den Verteidiger diesem die gesamte Messreihe in dessen Büroräume übersenden. Die Messdaten müssen dazu entschlüsselt oder ggf. eine Token-Datei zur Verfügung gestellt werden (abhängig vom Messgerätetyp). Richtig ist dabei auch die Erwägung des Amtsgerichts, dass der Betroffene die Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung nur dann erfolgreich in Zweifel ziehen kann, wenn er die Messreihe und sonstigen Messunterlagen technisch überprüfen lässt und dadurch gefundene Messfehler dem Gericht mitteilt. Die Herausgabe verstoße auch nicht gegen datenschutzrechtliche Normen. In Rheinland-Pfalz ebenfalls nicht selbstverständlich: Es sind auch sämtliche Wartungsnachweise des Messgeräts herauszugeben (AG Daun, Beschluss vom 04.07.2017 – 4 OWi 35/17).

1. Der Verwaltungsbehörde, also dem Polizeipräsidium Rheinpfalz- Zentrale Bußgeldstelle -, Maximilianstr. 6, 67346 Speyer, wird aufgegeben, die gesamte digitale Messreihe betreffend den Bußgeldvorgang gegen den Betroffenen unter dem Aktenzeichen … im gerätespezifischen Format und in unverschlüsselter Form, das heißt einschließlich der unverschlüsselten Rohmessdaten sowie -falls dann noch erforderlich – den dazugehörigen öffentlichen Schlüssel/Token, zu Händen seines Verteidigers zur Verfügung zu stellen.

2. Dabei ist ein geeignetes Speichermedium vom Betroffenen oder seinem Verteidiger der Behörde zur Verfügung zu stellen. Das bespielte Speichermedium wiederum ist dem Verteidiger in seine Kanzleiräume zu übersenden.

3. Die Verwaltungsbehörde wird ferner angewiesen, der Verteidigung die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise seit der ersten Inbetriebnahme des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung zu stellen.

4. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Verwaltungsbehörde.

Gründe:

Die Verwaltungsbehörde hat offensichtlich unter dem im Beschlusstenor bezeichneten Aktenzeichen eine Ordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) festgestellt, welche sie dem Betroffenen vorwirft. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Akteneinsicht begehrt und diese teilweise erhalten.

Der Betroffene macht geltend, dass er die gesamte seinerzeit gefertigte digitale Messreihe nebst Lebensakte bzw. hilfsweise Nachweisen zur Wartung, Instandsetzung und Eichung des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes seit der ersten Inbetriebnahme benötige.

Die Bußgeldbehörde ist der Ansicht, aus Datenschutzgründen an der Herausgabe der Messdaten gehindert zu sein bzw. diese nur auf gerichtlichen Beschluss hin vornehmen zu können.

Der Betroffene hat daher mit Schriftsatz vom 08.06.2017 gegenüber der Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Der Antrag ist gemäß §§ 62 Abs. 2, 68 OWiG zulässig und das AG Daun zur Entscheidung darüber berufen.

Der Antrag ist auch begründet, die Bußgeldbehörde war antragsgemäß zur Gewährung der begehrten Akteneinsicht zu verpflichten.

Offen bleiben kann dabei, ob sich der Anspruch des Betroffenen schon aus dem Akteneinsichtsrecht gemäß §§ 46 OWiG, 147 StPO ergibt. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass ein Messfilm bzw. eine Messdatei und die Lebensakte bzw. Nachweise zur Wartung, Instandsetzung und Eichung des Geschwindigkeitsmessgerätes (noch) nicht Aktenbestandteil ist. ergibt sich ein derartiges Einsichtsrecht zumindest aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher allgemein im Verfahrensrecht bzw. Prozessrecht gilt.

Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger – wie von der Zentralen Bußgeldstelle zutreffend erkannt – bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehr – da es sich bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels ESO 3.0 um ein sogenanntes standardisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, bei dem durch die PTB im Wege antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt wurde – in jedem einzelnen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.

Da jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen derartigen Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zum kompletten Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten der Messreihe sowie die Lebensakte bzw. Nachweise zur Wartung, Instandsetzung und Eichung des Geschwindigkeitsmessgerätes. Erst die Auswertung dieser Daten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem zur Überzeugung des Gerichtes nicht entgegen. Dies wird – soweit erkennbar und bereits veröffentlicht – in der Rechtsprechung ebenso beurteilt (Beschluss des OLG Koblenz vom 23.10.2013 – 2 SsRs90/13; Beschluss des AG Landstuhl vom 06.11.2015 – 2 OWi 4286 Js 2298/15 -; Beschluss des AG Heidelberg vom 14.06.2013 – 16 OWi 447/13; Beschluss des AG Schleiden vom 23.10.2012 – 13 OWi 140/12 (b); Beschluss des AG Kassel vom 27.02.2015- 381 OWi -9673 Js 32833/14 -; Beschluss des AG Königs Wusterhausen vom 17.03.2015-2.4 OWi 282/14 -).

Schon rein tatsächlich ist insoweit festzustellen, dass zwar ein Verteidiger und/oder ein privater Sachverständiger bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch andere Fahrzeuge sehen, welche eine Messung ausgelöst haben. Ob hierbei tatsächlich Erkenntnisse gewonnen werden, deren Missbrauch gegenüber den anderen Fahrzeugführern zu befürchten ist, dürfte bezweifelt werden. Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass der Einsicht nehmende spontan ein Fahrzeug bzw. einen Fahrzeugführer erkennt. Dies ist aber äußerst unwahrscheinlich. Erst recht ist nicht zu erkennen, welche (unzulässigen) Informationen bzw. Schlussfolgerungen diese hieraus ziehen könnten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.

Wägt man das Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer ab, hat das Interesse der anderen abgebildeten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Einsichtsrecht zurückzustehen. Hierbei ist insbesondere die Erwägung von Bedeutung, dass die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Dann kann es für diese Personen auch keinen überragenden Persönlichkeitseingriff darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfung derselben sich mit einer äußerst geringen, gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sehen, zufällig erkannt zu werden.

Da eine Lebensakte für Geschwindigkeitsmessgeräte in Rheinland-Pfalz nicht geführt wird, war die Verwaltungsbehörde anzuweisen, dem Betroffenen aus den genannten Gründen überdies die Nachweise zur Wartung, Instandsetzung und Eichung des Geschwindigkeitsmessgerätes zur Verfügung zu stellen.

Nach all dem war dem Antrag des Betroffenen stattzugeben, da er nur so die Ordnungsgemäßheit der Messung überprüfen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 OWiG in Verbindung mit §§ 467 Abs. 1, 473 StPO.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar gemäß § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Werner Schwarz (Saarbrücken) für die Zusendung dieser Entscheidung.