André Karwath aka Aka, Wikimedia CommonsDiese schon etwas ältere Entscheidung zur Akteneinsicht bzw. Einsicht in Messunterlagen betrifft ausnahmsweise ein Radarmessgerät. Dem Betroffenen wurde ein Geschwindigkeitsverstoß vorgeworfen. Der Verteidiger äußerte nach Durchsicht der Akte und des Messprotokolls die Möglichkeit eines Messfehlers durch sog. Knickstrahlreflexionen. Das AG Meldorf hält den Antrag auf Herausgabe bzw. Übersendung des Messfilms – digitale Messdaten werden von dem Gerät offenbar nicht erzeugt – in die Kanzleiräume des Verteidigers für begründet. Datenschutzbedenken sieht das AG nicht; Kennzeichen und Fahrzeuginsassen könne die Verwaltungsbehörde ohnehin schwärzen (AG Meldorf, Beschluss vom 27.01.2016 – 29 OWiE 39/16).

In der Erzwingungshaftsache

g e g e n …

Verteidiger: Rechtsanwalt Alexander Ermer, Maaßen-Nagel-Str. 1, 25709 Marne

w e g e n Ordnungswidrigkeit

hat das Amtsgericht Meldorf am 27.01.2016 beschlossen:

Dem Verteidiger ist Akteneinsicht durch Übersendung des gesamten Messfilms zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Der Kreis Dithmarschen erließ am 20.08.2015 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen des Vorwurfs einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen war mit Hilfe eines Verkehrs-Radargerätes festgestellt worden. Der Bescheid wurde dem Betroffenen am 25 .08.2015 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 02.09.2015, eingegangen beim Kreis Dithmarschen am selben Tag, legitimierte sich der Verteidiger des Betroffenen und legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. Außerdem beantragte er Akteneinsicht. Nach gewährter Akteneinsicht forderte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.10.2015 den Kreis zur Übersendung der vollständigen Messreihe auf. Sowohl auf dem Messfoto als auch auf dem Kalibrierungsfoto sei zu erkennen, dass im Messbereich Pkw abgestellt gewesen seien. Dem Messprotokoll lasse sich entnehmen, dass an dem Messgerät die Reichweite 2 eingestellt gewesen sei. In dieser Situation hätten sich Knickstrahlreflexionen kaum vermeiden lassen. Da keine Angaben zu Knickstrahlreflexionen im Messprotokoll vorhanden gewesen seien, liege es nahe, dass der aufmerksame Messbetrieb nicht gewährleistet gewesen sei. Mit Schreiben vom 15.10.2015 lehnte der Kreis Dithmarschen die Übersendung des Messfilms ab. Mit Schriftsatz vom 19.10.2015 beantragte der Verteidiger wegen der Versagung der Übersendung des gesamten Messfilmes gerichtliche Entscheidung.

II.

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet. Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, nach § 62 Abs. 1 OWiG gerichtliche Entscheidung beantragen. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die lediglich zur Vorbereitung der Entscheidung, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, getroffen werden und keine selbständige Bedeutung haben. So liegt es hier aber nicht. Die Versagung von Akteneinsicht des Verteidigers hat selbstständige Bedeutung. Das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht folgt aus§ 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Das Recht auf Akteneinsicht umfasst auch die Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke. Bei dem Messfilm handelt es sich um ein amtlich verwahrtes Beweisstück. Denn für den Beweiswert der Messung kann es auf den Inhalt des Filmes ankommen. Der Messfilm wird einem etwaig gerichtlich bestellten Sachverständigen stets vorgelegt. Er prüft diesen regelmäßig auf Vollständigkeit und sonstige Besonderheiten. Vor diesem Hintergrund muss der Verteidiger zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens Einsicht in den gesamten Messfilm nehmen können (vgl. LG Neubrandenburg v. 30.09.2015- 82 Os 112/15, Juris Rn. 18 ff.; AG Duderstadt v. 25.11.2013 – 3 OWi 300/13, Juris Rn. 3 ff.; AG Luckenwalde v. 07.10.2013 – 28 OWi 122/13, Juris Rn. 8 ff.). Soweit der Kreis die Verletzung von Bestimmungen zum Datenschutz befürchtet, dürfte es ihm möglich sein, Vorkehrungen durch Unkenntlichmachung von Kennzeichen und Insassen der Fahrzeuge zu treffen. Hinzu kommt, dass der Persönlichkeitsschutz anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer dem Einsichtsrecht nicht entgegensteht, da sich die abgebildeten Personen durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch Ordnungsbehörden und Polizei ausgesetzt haben (vgl. BVerfG NJW 2011, 2783 ff.). Zudem ist der aufgezeichnete und festgehaltene Lebenssachverhalt jeweils auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt (vgl. LG Neubrandenburg a.a.O.). Aufgrund der Komplexität der Überprüfung des Messfilmes muss sich der Verteidiger auch nicht auf eine Einsichtnahme in den Räumen des Kreises verweisen lassen. Ihm ist Einsicht durch Gewährung einer amtlich gefertigten Kopie auf einem von ihm bereitgestellten Datenträger zu gewähren.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Alexander Ermer, Marne, für die Zusendung die­ser Entscheidung.