Die Diskussion um verschiedene Probleme beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort, etwa die Fälle von Fahrerlaubnisentziehungen, wurde durch den Arbeitskreis III des diesjährigen Verkehrsgerichtstags wieder in Gang gesetzt. Dieser hat einige Empfehlungen an den Gesetzgeber ausgesprochen, aber auch für die noch geltende Rechtslage Rechtsprechungsänderungen angeregt. So soll ein bedeutender Schaden nunmehr erst ab 10.000 Euro anzunehmen sein. Dies ist für § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB relevant, denn weiß der Täter beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort oder kann er wissen, dass ein solcher bedeutender Schaden an fremden Sachen entstanden ist, so ist ihm gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in der Regel die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bislang wurde je nach Gerichtsbezirk von einer Wertgrenze von ca. 1300 Euro ausgegangen.

Eine mögliche Weiterentwicklung der Rechtsprechung diesbezüglich hat im vergangenen Jahr bereits das AG Stuttgart angestoßen: In dem von ihm entschiedenen Fall streifte die Angeklagte in geparktes Fahrzeug und entfernte sich anschließend. An dem geparkten Fahrzeug entstand ein Sachschaden von 1.469,04 Euro netto. Das AG hat hier eine Geldstrafe verhängt sowie ein einmonatiges Fahrverbot ausgesprochen. Von einer Fahrerlaubnisentziehung hat es abgesehen, da die seit 2002 angewandte Wertgrenze von 1.300 Euro auf Grund der allgemeinen Preisentwicklung dringend einer Anpassung bedürfe. Ausgehend von der Änderung des Verbraucherpreisindex seit dem Jahre 2002 sei ab Mai 2017 von einer Wertgrenze von 1.600 Euro auszugehen, welche hier nicht erreicht sei.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat, um eine obergerichtliche Klärung herbeizuführen, Revision zum OLG Stuttgart eingelegt, über welche bislang noch nicht entschieden ist.

AG Stuttgart, Urteil vom 08.08.2017 – 203 Cs 66 Js 36037/17 jug.

Die Angeklagte wird wegen des im Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 30.06.2017 rechtskräftig festgestellten unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer

Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro

verurteilt.

Der Angeklagten wird für die Dauer von 1 Monat verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge aller Art zu führen. Für diese Zeit ist ihr Führerschein in amtliche Verwahrung zu geben.

Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.

Angewandte Strafvorschriften:
§§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 44 StGB, 1, 105 JGG

Gründe:

I.
Persönliche Verhältnisse

[…]

II.
Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch

Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch stand folgender Sachverhalt fest:

Die Angeklagte fuhr am 21.02.2017 gegen 09:30 Uhr mit dem Pkw VW Bus T3, amtliches Kennzeichen S-…, auf der Hasenbergstraße in 70178 Stuttgart, West. Beim Rechtsabbiegen in die Augustenstraße streifte die Angeklagte den am rechten Fahrbahnrand der Hasenbergstraße stehenden Pkw Audi A6, amtliches Kennzeichen S-… des Geschädigten G am hinteren Kotflügel, wodurch am Fahrzeug des Geschädigten ein Sachschaden in Höhe von 1.469,04 Euro (netto) entstand.

Obwohl die Angeklagte den Unfall bemerkte und erkannte beziehungsweise damit rechnete, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war, verließ sie die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Die Angeklagte hat sich daher eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig und strafbar gemacht.

Ergänzend wurde festgestellt, dass die Angeklagte unmittelbar nach Ankunft mit dem Geschäftsfahrzeug im Betrieb den Unfall mitgeteilt und in nicht widerlegbarer Weise auch die Polizei diesbezüglich angerufen hat.

III.
Strafzumessung

Auf die zur Tatzeit bereits 20-jährige Angeklagte gelangte nicht gem. § 105 JGG ausnahmsweise Jugendstrafrecht zur Anwendung, nachdem sie nach Überzeugung des Gerichts weder zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch einer Jugendlichen gleichstand, noch es sich bei der Tat um eine typische Jugendverfehlung handelt. Die Angeklagte hat ihren eigenen Hausstand, begann bereits eine Ausbildung und lässt insgesamt keine Reifeverzögerungen erkennen.

Bei der Strafzumessung war vom Strafrahmen des § 142 Abs. 1 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

Das Gericht hielt eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen. Aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten war der Tagessatz auf 10 Euro festzusetzen.

Überdies war als Nebenstrafe gegen die Angeklagten gem. § 44 StGB ein Fahrverbot von 1 Monat anzuordnen, um spezialpräventiv auf diese einzuwirken und ihr die Folgen ihres Verkehrsverhaltens noch einmal als Warnung vor Augen zu führen.

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit Verhängung einer Sperrfrist gem. § 69 f. StGB war indes vorliegend nicht angezeigt.

Das Gericht sieht bereits die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht für gegeben an, da die seit dem Jahre 2002 in ständiger Rechtsprechung angewandte Wertgrenze von 1.300 Euro für die Annahme eines „bedeutenden Schadens“ nach nunmehr 15 Jahren und bekanntermaßen erfolgten Preisentwicklung dringend angepasst werden muss (vgl. u.a. Beschluss des LG Braunschweig vom 03.06.2016 – 8 Qs 113/16).

Als Vergleichsmaßstab bietet sich der jährlich vom Statistischen Bundesamt berechnete und veröffentlichte Verbraucherpreisindex an. Der aktuell geltende Verbraucherpreisindex in Deutschland hat das Jahr 2010 als Basisjahr (2010 = 100). Im Jahr 2002 erreichte der Verbraucherpreisindex einen Jahresdurchschnittswert von 88,6 und zum Stichtag Mai 2017 einen Wert von 108,8. Die Veränderungsrate beträgt somit 22,80 % (108,8 / 88,6 x 100 – 100). Der Wert von 1.300 Euro aus dem Jahr 2002 stieg somit unter Berücksichtigung dieser Preissteigerungsrate von 22,80 % im relevanten Vergleichszeitraum auf 1.596 Euro. Leicht gerundet erscheint es daher sachgerecht und die allgemeine Preisentwicklung angemessen berücksichtigend, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nunmehr auf 1.600 Euro festzusetzen.

Nachdem keine Erkenntnisse über eine tatsächlich durchgeführte Reparatur vorliegen, war vom Kostenvoranschlag in Höhe von 1.469,04 Euro netto auszugehen. Mithin lag nach Auffassung des Gerichts bereits keine Indiztat gem. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, sodass Erwägungen zu einer möglichen Ausnahme von der Regelvermutung im konkret vorliegenden Fall entbehrlich waren.

Ein Fahrverbot gem. § 44 StGB war gleichwohl anzuordnen, um der Angeklagten als Nebenstrafe zur verhängten Geldstrafe das Unrecht der Tat zusätzlich vor Augen zu führen. Bei der Zumessung der Länge des Fahrverbots war zu berücksichtigen, dass ein Fahrverbot eine repressive Besinnungsstrafe und keine präventive Gefahrenabwehr darstellt. Daher verbot sich ein pauschales Abstellen auf den recht hohen verursachten Fremdschaden mit daran anknüpfendem „Ausreizen“ der maximalen Dauer eines Fahrverbots von drei Monaten. Vielmehr war vom Gericht der im Zusammenspiel mit der verhängten Geldstrafe verfolgte Strafzweck in den Mittelpunkt der Ermessensausübung zu rücken.

Die psychisch angeschlagene und im Tatzeitpunkt überdurchschnittlich gestresste Angeklagte hat zumindest unmittelbar nach Ankunft in ihrem Betrieb den Schaden gemeldet hat, sodass es ihr offensichtlich nicht um ein prinzipielles Verheimlichen des Unfalls ging. Sie hat zudem ersichtlich bereits nachhaltige Wirkung durch das vorliegende Strafverfahren erfahren hat und nach dem Eindruck des Gerichts ihre Lehren aus dem Vorfall gezogen. Daher erschien ein Fahrverbot von einem Monat ausreichend und die Gesamtumstände von Tat und Persönlichkeit der Angeklagten angemessen berücksichtigend. Eine höhere Warnfunktion hätte im konkreten Fall etwa ein 2- oder 3-monatiges Fahrverbot nach Auffassung des Gerichts bezüglich des künftigen Verhaltens der Angeklagten im Straßenverkehr nicht entfaltet. Dies war im Rahmen der spezialpräventiven Erwägungen des § 44 StGB entsprechend zu berücksichtigen.

IV.
Kosten

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO.

Vielen Dank an Richter David Schenk (AG Stuttgart) für die Zusendung dieser Entscheidung.