Die Klägerin saß in einer Straßenbahn auf einem seitlichen Sitz längs zur Fahrtrichtung, wobei sie sich nicht an die Lehne des Sitzes anlehnte, sondern mit dem Rücken ca. 15 cm von dieser entfernt war. Bei einer Gefahrenbremsung der Straßenbahn, nachdem ein vor dieser befindlicher Pkw auf die Schienen fuhr, stürzte die Klägerin vom Sitz und zog sich eine Verletzung der Hand zu, während andere, ordnungsgemäße sitzende Fahrgäste sich während des Bremsvorgangs kaum bewegten. Ein Sachverständiger stellte fest, dass die Klägerin nicht gestürzt wäre, wenn sie angelehnt gewesen wäre, sich also vollflächig auf den Sitz gesetzt hätte.

Nach Ansicht des OLG Dresden hat der Betreiber der Straßenbahn keine Pflichten aus dem Beförderungsvertrag verletzt. Eine Sicherungsmöglichkeit in Form eines Haltegriffes habe in der Nähe des Sitzes der Klägerin nicht vorhanden sein müssen, da bereits ein ordnungsgemäßes Sitzen einen Sturz verhindert hätte. Stattdessen habe die Klägerin gegen die Verpflichtung, sich einen festen Halt zu verschaffen, verstoßen, da sie sich nicht angelehnt habe, so dass zudem von einem anspruchsausschließenden Mitverschulden auszugehen sei.

OLG Dresden, Urteil vom 03. November 2017 – 1 U 62/16 (2)

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 11.12.2015 – Az: 4 O 1783/14 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind für die Beklagte zu 2) vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf Schadenersatz wegen eines Sturzes in einer Straßenbahn. Die Klägerin fuhr am 17.02.2014 in Begleitung ihres Ehemannes mit der Straßenbahnlinie xx in xxx und nahm auf einem seitlichen Sitz längs zur Fahrtrichtung Platz. Bei einer Bremsung der Straßenbahn stürzte die Klägerin von dem Sitz und brach sich die linke Hand.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 2) abgewiesen worden ist.

Die Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) liege in der unzureichenden Sicherung des klägerischen Sitzes und nicht in der durchgeführten Gefahrenbremsung. Der Sitz der Klägerin habe keine Sicherungsmöglichkeit zum Festhalten, wie z.B. eine Armlehne oder eine Haltestange, gehabt.

Auch habe das Landgericht die in Augenschein genommene Videosequenz unrichtig und unvollständig gewürdigt. Der Rucksack, den die Klägerin getragen habe, sei ein Minirucksack gewesen und nicht größer als zwei Handbreit. Auf die Größe und das Gewicht des Rucksackes gehe das Landgericht in der Begründung seines Urteils nicht ein. Lediglich pauschal werde festgestellt, dass der Rucksack getragen und beim Sitzen nicht abgenommen worden sei. Dies werde der Klägerin als Eigensicherungspflichtverletzung vorgeworfen. Diese Schlussfolgerung sei aber unrichtig. Die Besonderheiten des Minirucksackes hätten beachtet werden müssen. Es hätte keinen Unterschied gemacht, ob die Klägerin eine dicke Steppjacke oder den mitgeführten Minirucksack getragen hätte.

Die vom Landgericht durch Inaugenscheinnahme der Videosequenz festgestellte Sitzposition zum Zeitpunkt des Bremsvorgangs sei unrichtig. Der Videosequenz sei eindeutig und einzig entscheidungserheblich zu entnehmen, dass die Klägerin kurz vor Einleitung der Gefahrbremsung auf ihrem Sitz aufrecht und gerade gesessen habe. Die Klägerin habe während der Fahrt nur zeitweise nach vorne gebeugt gesessen, anders als auf Seite 6 der Urteilsbegründung festgestellt.

Die Feststellung des Verhaltens der mit der Klägerin vergleichbaren Fahrgäste basiere auf einer unrichtigen und unvollständigen Tatsachenfeststellung. Die seitlich sitzenden Fahrgäste hätten sich seitlich abstützen können, entweder an freien Sitzen oder sogar durch den klägerischen Sitz. Neben dem klägerischen Sitz habe sich aber hingegen weder ein Sitz noch eine andere Schutzvorrichtung befunden. Eine unmittelbare Vergleichbarkeit sei deshalb nicht gegeben.

Auch die Begründung zu dem gestürzten Fahrgast, der auf einem Notsitz gesessen habe, sei pauschal und unzureichend. Fälschlicherweise werde dieser Sturz nicht zum Anlass genommen, eine Auseinandersetzung mit der unzureichenden Sicherungsmöglichkeit vorzunehmen. Auch ein weiterer seitlich sitzender Gast sei, wie sich aus den Bildern der Kamera 08 (Anlagenkonvolut BK1) ergebe, aus dem Sitz gerissen worden. Dieser Fahrgast sei nur deshalb nicht gestürzt, weil er sich an der Haltestange, die unmittelbar auf der linken Seite seines Sitzes befestigt war, festgehalten und so einen Sturz habe verhindern können. Die Bewegung des Fahrgastes verdeutliche, dass auch das Anlehnen im schalenförmigen Sitz einen Sturz nicht hätte verhindern können, sondern allein eine Haltestange.

Soweit das Landgericht feststellt, dass die Klägerin allein durch das Anlehnen in den schalenförmigen Sitz den Sturz hätte verhindern können, entbehre dies jeglicher wissenschaftlich fundierten Grundlage. Das Einholen eines Sachverständigengutachtens hierzu sei unerlässlich.

Die Klägerin beantragt:

Das am 11.12.2015 verkündete Urteil des Landgerichts Dresden, Az: 4 O 1783/14, abzuändern, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 2) abgewiesen wurde, und

1. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 10.000,00 € beträgt, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2014 zu zahlen;

2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin Schadenersatz in Höhe von 3.491,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2014 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die mit dem Unfallereignis am 17.02.2014 in kausalem Zusammenhang stehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Immaterielle Schäden jedoch nur, soweit sie zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war.

4. Die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten 1.706,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte zu 2) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Aufgrund der Tatbestandswirkung des angefochtenen Urteils stehe fest, dass die Klägerin, die zum Zeitpunkt des Unfalls saß, einen kleinen Rucksack getragen und nach vorn gebeugt aus dem Fenster gesehen habe.

Anders als die Klägerin meine, stütze das Landgericht seine Entscheidung nicht nur auf die Inaugenscheinnahme der Videosequenz, sondern auch auf die Aussage des Zeugen L.. Der Sitz der Klägerin habe seitlich über Sicherungselemente durch den Rahmen der Ziehharmonika verfügt, die einen seitlichen Sturz hätten verhindern können, wenn sich die Klägerin angelehnt hätte.

Aufgrund dessen, dass die Klägerin einen Rucksack trug, habe sie gegen die ihr obliegende Eigensicherungspflicht sowie gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 der Beförderungsbedingungen des VVO verstoßen. So habe sie sich nicht anlehnen können. Größe und Gewicht des Rucksackes würden nicht die entscheidende Rolle spielen, vielmehr fehle eine feste Verbindung zwischen dem Sitz und dem Oberkörper, welche im Falle einer Bremsung ein vom Sitz Rutschen der Klägerin durch den Reibungswiderstand verhindert hätte. Die Sitze seien leicht schalenförmig geformt, so dass sie bei seitlich auftretenden Beschleunigungskräften sicheren Halt geben würden. Die Dame neben der Klägerin, die sich ordnungsgemäß angelehnt habe, habe nur leicht mit dem Oberkörper gewippt, als das Bremsmanöver stattgefunden habe. Sie habe ein Buch mit beiden Händen festgehalten, was zeige, dass es zur Eigensicherung keiner weiteren Sicherungsmaßnahmen bedurft habe.

Soweit die Klägerin nunmehr in der Berufungsinstanz neu vortrage, ein anderer Fahrgast, welcher im hinteren Bereich der Bahn gesessen habe, sei ebenfalls zu Fall gekommen, sei dies verspätet. Es sei nicht nachvollziehbar, warum dieser Fahrgast letztlich zur Haltestange habe greifen müssen, denn der ihm gegenüber sitzende Fahrgast, welcher mit beiden Händen in Unterlagen blätterte, sei nicht veranlasst gewesen, anderweitig Halt zu suchen.

Weitere Sicherungsmaßnahmen, wie etwa das Anbringen einer Haltestange, seien nicht erforderlich gewesen.

Anders als die Klägerin meine, sei der Anscheinsbeweis nicht nur auf stehende, sondern auch auf sitzende Fahrgäste anzuwenden. Mithin obliege es der Klägerin, einen atypischen Sachverhalt vorzutragen und diesen unter Beweis zu stellen. Dies sei bislang nicht erfolgt.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und O-Bus-Verkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen habe sich jeder Fahrgast jederzeit festen Halt zu verschaffen. Den Fahrgast treffen erhöhte Sorgfaltspflichten, er müsse sich auf eine spontane und plötzliche Veränderung der Geschwindigkeit einstellen. Er müsse auch mit einer Gefahrenbremsung rechnen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. T., der das Gutachten zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert hat.

Wegen der Einzelheiten des Sachverständigengutachtens wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Darüber hinaus wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO. Sie hat jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz.

1.

Die Klage war insbesondere auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zulässig. Es bedurfte keiner weiteren Bezifferung der zwischenzeitlich bezifferbaren Anspruchsteile der vom Feststellungsantrag umfassten Anträge bezüglich der Erstattung der Lohndifferenz und des Haushaltsführungsschadens.

Ist bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung des weiteren Schadens aber noch zu erwarten, so ist der Kläger grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten (BGH, Urt. v. 04.12.1986, Az: III ZR 205/85, NVwZ 1987, 733; Urt. v. 07.06.1988, Az: IX ZR 278/87, Fundstelle juris; BGH, Urt. v. 21.02.1991, Az: III ZR 204/89, VersR 1991, 788; Urt. v. 30.03.1983, Az: VIII ZR 3/82, Fundstelle juris, m.w.N.).

2.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem mit der Beklagten zu 2) abgeschlossenen Beförderungsvertrag.

Zum einen ist der Beklagten zu 2) keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, obgleich der Wagen in der Nähe des Sitzplatzes der Klägerin über keine weitere Sicherungsmöglichkeit in Form eines weiteren Haltegriffs oder Ähnlichem verfügte. Zudem ist der Senat im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Unfall vermieden worden wäre, wenn die Klägerin die gebotenen und zumutbaren Maßnahmen zur Eigensicherung ergriffen hätte. Daran fehlte es, weil die Klägerin weder vollflächig auf ihrem Sitz saß noch angelehnt war. Selbst wenn daher – wie nicht – der Beklagten zu 2) eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen gewesen wäre, hätte das der Klägerin anzurechnende Mitverschulden (§ 254 BGB) anspruchsvernichtend gewirkt.

a) Nach § 4 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und O-Bus-Verkehr sowie dem Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ist jeder Fahrgast verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Das bedeutet für den Fahrgast einer Straßenbahn, dass er damit rechnen muss, dass – außerhalb von Fahrfehlern – bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist daher selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen der Straßenbahn nicht zu Fall kommt und muss sich Halt auch gegen unvorhersehbare Bewegungen verschaffen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.06.1972, Az: 1 U 251/71, VersR 1972, 1171). Der Fahrgast muss jederzeit mit einem scharfen Bremsen rechnen (OLG Hamm, Urt. v. 08.09.1999, Az: 13 U 45/99, DAR 2000, 64, Nr. 28; KG Berlin, Urt. v. 01.03.2010, Az: 12 U 95/09, Fundstelle juris). Er ist sich in einem modernen Großraumwagen selbst überlassen und kann nicht damit rechnen, dass der Wagenführer sich um ihn kümmert (BGH, Urt. v. 1.12.1992, Az: VI ZR 27/92, NJW 1993, 654; Urt. v. 16.11.1971, Az: VI ZR 69/70, VersR 1972, 152). Er muss mithin selbständig für die notwendige Eigensicherung sorgen.

Hiergegen hat die Klägerin verstoßen.

Ob sich die Klägerin darüber hinaus auch einen Verstoß gegen § 11 Abs.1 S. 3 der Beförderungsbedingungen der VVO entgegenhalten lassen muss, weil sie einen Rucksack auf dem Rücken trug, insbesondere, ob diese Vorschrift nur andere Fahrgäste oder auch den Träger des Rucksacks selbst schützen soll, kann offen bleiben, weil dies hier nicht entscheidungserheblich ist. Unstrittig hat sich die Klägerin nicht angelehnt, so dass offen bleiben kann, ob die Sitzsicherheit beim Anlehnen mit Rucksack herabgesetzt wäre.

b) Im Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung des Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. T. ist der Senat davon überzeugt, dass es zum einen der Klägerin unschwer möglich und zumutbar gewesen wäre, den Unfall dadurch zu vermeiden, dass sie angelehnt gesessen wäre. Zusätzliche Sicherungsmaßnahmen der Beklagten zu 2) am Sitzplatz der Klägerin oder in dessen räumlicher Nähe waren daher nicht geboten.

Zum anderen ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin gegen die ihr obliegende Eigensicherungspflicht verstoßen hat. Die Klägerin hat sich weder angelehnt, noch saß sie vollflächig auf dem Sitz. (Soweit der vorliegenden Fotodokumentation anhand der Kameraaufzeichnungen in der Straßenbahn auch zu entnehmen ist, dass sich die Klägerin hin und wieder nach vorn gebeugt hat, um aus dem Fenster zu schauen, sodass sie auch teilweise abgelenkt gewesen sein dürfte, bleibt dies bei der Betrachtung des Mitverschuldensanteils der Klägerin außer Betracht. Es lässt sich nicht feststellen, ob sich dies unfallkausal ausgewirkt hat.)

Der Sachverständige T., der dem Senat aus einer Vielzahl von Gutachten zur Unfallrekonstruktion als sehr kompetent und überaus präzise arbeitend bekannt ist, hat in seinem Gutachten zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass sich die Klägerin unschwer selbst hätte sichern können und der Unfall auf der fehlenden Eigensicherung beruhte, denn nach seinen Ausführungen, denen der Senat folgt, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen, wenn die Klägerin angelehnt, mithin vollflächig auf dem Sitz gesessen, und auch die Lehne ohne Rucksack vollflächig ausgenutzt hätte. Er hat in seinem Gutachten die Unfallsituation für den Senat nachvollziehbar und plausibel untersucht und sowohl die gewonnenen Erkenntnisse als auch die darauf basierenden Schlussfolgerungen zur Unfallvermeidung schriftlich und mündlich konsistent erläutert.

Dem Gutachten des Sachverständigen liegen drei Betrachtungsmethoden (eine geometrische Analyse, eine Insassenbewegung bei Versuch und die Beobachtung der weiteren Fahrgäste in der tatsächlichen Unfallsituation) zugrunde, anhand derer er dargelegt hat, dass es zum Sturz nicht gekommen wäre, wenn die Klägerin ohne Rucksack die Sitzfläche voll ausgenutzt und sich angelehnt hätte. Die Unfallrekonstruktion erfolgte sowohl anhand der fotografischen Auswertung als auch anhand eines nachvollzogenen Versuchsaufbaus unter Darstellung hier wirkender physikalischer Gesetzmäßigkeiten und deren konkreter Auswirkungen im vorliegenden Fall.

Nach den Ermittlungen des Sachverständigen (Auswertung der Videoaufzeichnungen und technische Skizze) hat die Klägerin unmittelbar vor der Gefahrenbremsung der Straßenbahn mit dem Rücken in einem Abstand von ca. 15 cm entfernt von der Sitzlehne gesessen.

Die Auswertung der Videoaufzeichnung der 8 Bordkameras des in Rede stehenden Straßenbahnzuges (vgl. Anlage K2 des Gutachtens) belegt anschaulich, dass sich die anderen Fahrgäste während des Bremsvorgangs kaum bewegt haben. Dies gilt auch für die Fahrgäste, die in vergleichbarer Sitzposition wie die Klägerin saßen. Das Bewegungsverhalten der anderen mit Blick quer zur Fahrzeuglängsachse sitzender Insassen während der Unfallfahrt ist aussagekräftig, weil alle Insassen bei dieser Fahrt gleichermaßen unvorbereitet vom streitgegenständlichen Fahrmanöver (Bremsvorgang) betroffen waren. Ihre Positionen sind bis auf kleine Änderungen weitgehend unverändert geblieben. Danach ist nachvollziehbar, dass für Personen, welche angelehnt mit Blick quer zur Fahrzeuglängsachse Platz genommen hatten und dabei beide Füße auf dem Fahrzeugboden gestellt haben, offenbar keine unmittelbare Gefahr bestand, während des Verzögerungsvorgangs vom Sitz zu kippen. Soweit sich die Person Nr. 4 (Aufnahme der Kamera 8 auf Anlage 2 ganz unten) auch massiv festgehalten musste, lag das daran, dass diese Person nur mit einem Fuß auf dem Boden stand, der aufgrund dessen erheblich kippte. Sobald beide Füße vollflächig auf dem Boden aufgesetzt werden, sitzt die Person stabiler. Die ihm gegenüber sitzende Person konnte den Bremsvorgang – ein Buch in beiden Händen haltend, aber vollflächig angelehnt, in nahezu unveränderter Position bewältigen.

Dieses Ergebnis wird auch durch die vom Sachverständigen vorgenommenen theoretischen Bewegungsuntersuchungen und mit den durchgeführten Fahrdynamikuntersuchungen anhand der rekonstruierten Unfallsituation bestätigt.

Der Sachverständige hat die Sitzposition der Klägerin durch Ausmessen der Aufnahmen der Kamera 2 anhand fester Bezugspunkte im Raum maßstabsgenau in eine technische Zeichnung übertragen, was ein übliches Verfahren für die Rekonstruktion von Kfz-Unfällen ist. Dazu hat er die Videoaufzeichnungen der Kameras aus dem Triebwagen vom Unfallzeitpunkt ausgewertet und einen Ortstermin durchgeführt, bei dem insbesondere der Unfallbereich in dem konkreten Triebwagen ausgemessen worden ist. Außerdem hat er Verzögerungsversuche mit einem fahrzeugunabhängigen Messsystem durchgeführt. Die Verzögerungen bei den Versuchen stimmten mit den Kameraaufzeichnungen gut überein, sodass sie auf die Unfallszene anwendbar waren. Darüber hinaus hat der Sachverständige einen Vergleich mit einer weiblichen Testperson durchgeführt, deren Sitzposition der der Klägerin entsprach. Die Testperson ist etwa genauso groß wie die Klägerin, jedoch schwerer und fülliger. Dies bewirkt zugunsten der Klägerin, dass der Schwerpunkt der Testperson gegenüber der Klägerin weiter vorne lag und damit die Kipptendenz größer war. Gleiches würde sich auch in der angelehnten Sitzposition realisieren. Bei den durchgeführten Versuchen hat sich gezeigt, dass eine Person, die auf dem Sitz, auf dem die Klägerin saß, sitzt, auf die Rahmenkonstruktion bei einer Vollbremsung aufprallen würde, soweit der Körperschwerpunkt im Bereich der mit der Rahmenkonstruktion überdeckten Fläche liegen würde. Dies war bei der Klägerin aufgrund ihrer Sitzposition nur in einem relativ geringen Bereich der Fall. Hätte die Klägerin dagegen angelehnt gesessen, wäre der überdeckte Bereich deutlich höher gewesen, insbesondere hätte der Schwerpunkt des Körpers mehr im Bereich des Rahmens gelegen. Sie wäre aufgrund der Haftwirkung bei vollflächigem Sitzen und Anlehnen und sicherem Stand der Füße, zudem geschützt durch die Rahmenkonstruktion im Seitenbereich, nicht gestürzt.

Die von der Klägerin gegen das Gutachten erhobenen Einwendungen hat der Sachverständige sowohl in seinem Ergänzungsgutachten vom 04.04.2017 als auch in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat eindrucksvoll widerlegt. Er hat eine ausführliche Fehleranalyse seiner Versuche vorgenommen, die keine Zweifel an der Richtigkeit der hieraus gezogenen Schlussfolgerungen und dem Ergebnis des vorliegenden Gutachtens aufkommen lassen.

c) Da eine auf dem Sitzplatz der Klägerin sitzende Person daher zum einen ebenso wie alle anderen längs zur Fahrtrichtung sitzenden Personen schon bei ordnungsgemäßem Anlehnen und sicherem Stand der Füße gegen einen Sturz auch bei einer stärkeren Betriebsbremsung geschützt ist und zum weiteren auch noch eine auf dem konkreten Sitzplatz sitzende Person selbst bei einer Vollbremsung durch die Rahmenkonstruktion der “Ziehharmonika” gegen Sturzgefahr gesichert ist, bedurfte es keiner weiteren Sicherungsmaßnahmen durch die Beklagte zu 2) wie etwa einer seitlichen Lehne oder einer Anhaltestange. Die Beklagte zu 2) hat keine ihr gegenüber der Klägerin bestehende Sicherungspflichten verletzt.

d) Selbst bei Unterstellung einer Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) würde das Mitverschulden der Klägerin in einem solch hohen Maße überwiegen, dass ein Anspruch der Klägerin ausgeschlossen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung verhält sich nämlich ein Fahrgast, der sich während der Fahrt keinen festen Halt verschafft, obwohl ihm dies möglich wäre, grob schuldhaft (KG, Beschl. v. 17.08.2011, Az: 22 W 50/11, m.w.N.). Hier saß die Klägerin mit 15 cm Abstand zur Sitzlehne, zudem quer zur Fahrtrichtung. In einer solchen Position musste es sich jedem vernünftigen Fahrgast aufdrängen, dass diese Position bei plötzlichen Bremsungen äußerst sturzgefährdet sein könnte. Die – nur unterstellte – Pflichtverletzung der Beklagten, die dann nur darin bestanden hätte, nicht noch zusätzlich zu dem bereits durch die Rahmenkonstruktion bestehenden Schutz weitere Sicherungsmöglichkeit angebracht zu haben, träte demgegenüber zurück.

3.

Auch ein Anspruch aus § 831 BGB besteht nicht. Zwar hat hier der Geschäftsherr grundsätzlich für einen von seinem Verrichtungsgehilfen verursachten Schaden unabhängig von einem Verschulden desselben einzustehen, sofern ihm nicht der Entlastungsbeweis gelingt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Verrichtungsgehilfe sich objektiv fehlerfrei, d.h. so verhalten hat, wie dies jede sorgfältig ausgewählte und überwachte Person vernünftigerweise getan hätte. Denn dann bestünde auch bei eigenem Handeln des Geschäftsherrn kein Anspruch (Palandt-Sprau, BGB, 70. Aufl., § 831 Rn. 8 m.w.N.; Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urt. v. 09.05.2011, Az: 3 U 19/10, Fundstelle juris). Hiervon ist vorliegend auszugehen; die Straßenbahnfahrerin hat sich zur Überzeugung des Senats in keiner Weise vorwerfbar verhalten. Solches ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Unstreitig musste die vormalige Beklagte zu 1), die bei der Beklagten zu 2) beschäftigte Fahrerin der Straßenbahn, betriebsbedingt bremsen, weil ein Pkw plötzlich auf Straßenbahnschienen auffuhr. Diese Bremsung wurde nicht als Notbremsung, die zum vollständigen Stillstand der Bahn geführt hätte, ausgeführt, sondern hat – wie auch der Sachverständige überzeugend ausführte – lediglich die Annäherungsgeschwindigkeit der Straßenbahn an die Gefahr verringert. Mithin liegen keinerlei Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der für die Beklagte zu 2) tätigen Beklagten zu 1) vor.

4.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 1 Abs. 2 HPflG. Auch wenn sie bei dem Betrieb der Straßenbahn, als diese gebremst hat, gestürzt ist und sich dabei die linke Hand gebrochen hat, steht einem Anspruch der Klägerin ihr anspruchsausschließendes Eigenverschulden gemäß § 4 HPflG i.V.m. § 254 BGB entgegen. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.) Bezug genommen, die im Hinblick auf die bei einem Anspruch aus dem Haftpflichtgesetz hier nur einzustellende bloße Betriebsgefahr der Straßenbahn erst recht gelten.

5.

Da der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) kein primärer Schadenersatzanspruch zusteht, sind ihr auch keine Kosten zur Verfolgung der unbegründeten Ansprüche zu ersetzen.

III.

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.