Die vorliegende Entscheidung befasst sich mit der Bemessung der Bußgeldhöhe in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren. Die Verwertung von Vorverurteilungen zum Nachteil des Betroffenen erfordere u. a., dass der Warneffekt der vorhergehenden Ahndung noch fortwirkt, so dass im Urteil die Vorahndungen ihrer Art nach sowie deren Zeitpunkt und Daten anzuführen seien. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse, zu denen der Betroffene keine Angaben macht, habe die Rechtsprechung auf eine Prüfung verzichtet, wenn eine Geldbuße nach dem Bußgeldkatalog verhängt wird, auch wenn diese 250 Euro übersteige oder wegen vorsätzlichen Handelns zu verdoppeln sei. Dies gelte auch dann, wenn die so errechnete Geldbuße wegen Vorahndungen um einen geringen Betrag erhöht wird (hier: 480 Euro wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 51 km/h, erhöht um 20 Euro wegen Voreintragungen).

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.11.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 87/17

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 6. Juli 2017 wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Landau in der Pfalz hat den Betroffenen mit Urteil vom 6. Juli 2017 wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einem Kraftfahrzeug außerhalb geschlossener Ortschaften um 51 km/h mit einer Geldbuße von 500,- € belegt und ihm, unter Einräumung der Viermonats-Frist des § 25 Abs. 2a StVG, für die Dauer von einem Monat verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er eine Verletzung materiellen Rechts beanstandet, ist zulässig, jedoch unbegründet.

II.

1.

Die Sache bedarf nicht der Rückgabe an das Amtsgericht.

Das Hauptverhandlungsprotokoll ist fertiggestellt, so dass eine wirksame Zustellung des Urteils erfolgt ist und dadurch die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen – hier die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde – in Lauf gesetzt wurden. Allerdings ist die Sitzungsniederschrift nicht ordnungsgemäß, soweit in ihr nicht der Tenor des verkündeten Urteils wiedergegeben, sondern lediglich vermerkt ist, es sei die aus der Anlage ersichtliche Entscheidung verkündet worden, und ein ausgefülltes, nicht unterschriebenes Urteilsformular beigefügt ist. Dies genügt nach allgemeiner Auffassung nicht den Anforderungen des § 273 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG (vgl. hierzu u.a. RGSt 58, 143; KK-StPO/Greger, 7. Aufl., § 273 Rn. 14). Diese Lückenhaftigkeit des Protokolls ist indes nicht derart schwerwiegend, dass sie eine Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls verhindern könnte (Senat, Beschluss vom 8. November 2012, Az. 1 Ss Bs 33/12; vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1981, 1795; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1983, Az. 3 StR 358/83; Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 15. November 2000, Az. 2 Ss OWi 1078/00, Rn. 6, zitiert nach juris).

2.

Hinsichtlich des Schuldspruchs hält die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin stand.

Insbesondere begegnet die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handelt vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und bewusst dagegen verstoßen hat. Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40 % in der Regel von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden kann, wenn anhand der Motorengeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung ändert, der Fahrer zuverlässig einschätzen kann und dadurch erkennt, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet. Nur bei niedrigeren Überschreitungen müssen weitere Indizien herangezogen werden, wie etwa das Vorliegen von mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Mai 2016, Az. III-4 RBs 91/16, m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 25. März 2015, Az. 3 Ws (B) 19/15, m.w.N.; OLG Celle, Beschluss vom 28. Oktober 2013, Az. 322 SsRs 280/13, m.w.N.; jeweils zitiert nach juris).

Der Betroffene kannte hier die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, die durch das entsprechende Verkehrszeichen ausgewiesen war. Er überschritt sie um 51 km/h und damit um 85 %. Dafür, dass dem Betroffenen diese erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung verborgen geblieben sein könnte, gibt es keine Anhaltspunkte.

Die im Zusammenhang mit der Begründung der vorsätzlichen Begehungsweise erfolgte, nicht weiter ausgeführte Bezugnahme des Amtsgerichts auf die verkehrsrechtlichen Voreintragungen des Betroffenen stellt lediglich einen ergänzenden Hinweis und offenkundig keine tragende Erwägung dar.

3.

Auch im Rechtsfolgenausspruch führt die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf die Sachrüge hin nicht zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen.

a)

Die Bußgeldbemessung liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters. Ihre Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht hat sich darauf zu beschränken, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1996, 78, m.w.N.). Das Amtsgericht hat sich hier an der für den Geschwindigkeitsverstoß vorgesehenen Regelgeldbuße von 240,- € für den Fall fahrlässiger Begehung und gewöhnlicher Tatumstände orientiert, hat diese Geldbuße sodann wegen der vorsätzlichen Begehungsweise gemäß § 3 Abs. 4a BKatV auf 480,- € verdoppelt und schließlich das Bußgeld wegen zweier einschlägiger Voreintragungen nochmals um 20,- € auf 500,- € erhöht.

b)

Die Begründung des Amtsgerichts, weshalb die verdoppelte Regelgeldbuße wegen der verkehrsrechtlichen Voreintragungen (gering) um 20,- € erhöht wurde, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Bei der Frage der Verwertung von Vorverurteilungen zum Nachteil des Betroffenen ist in erster Linie darauf abzustellen, ob zwischen den früher begangenen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten und der neuen Tat in sachlicher und zeitlicher Hinsicht ein innerer Zusammenhang besteht und, ob der beim Betroffenen durch die Vorahndung ausgelöste Warneffekt noch fortwirkt (vgl. KK-OWiG/Mitsch, 4. Aufl., § 17 Rn. 77 m.w.N.). Wie die an den Täter der neuen Tat ergangene Warnung erfolgt ist, muss in den Urteilsgründen durch Feststellungen belegt werden.Nur eine solche Darlegung ermöglicht es dem Rechtsbeschwerdegericht, die gebotene Nachprüfung vorzunehmen. Anzuführen sind im Einzelnen grundsätzlich die Art der begangenen Verfehlungen, ihre Zeitpunkte und die Daten der ergangenen Sanktionen (Urteil, Strafbefehl, Bußgeldbescheid oder sonstige Entscheidung); einer Überprüfung der Täterschaft bedarf es hierbei nicht (KG Berlin, Beschluss vom 9. August 1999, Az. 2 Ss 168/99, 3 Ws (B) 413/99, zitiert nach juris). Ferner sind die früheren Verstöße zu der neuen Tat in Beziehung zu setzen (OLG Koblenz VRS 64, 215; OLG Köln GewArch 1982, 158; Schall NStZ 1986, 1-8). Bei der Erwägung, ob einer Vorverurteilung eine warnende Wirkung in Bezug auf die neue Tat zukommt, muss berücksichtigt werden, dass eine solche wegen beträchtlichen Zeitabstands entfallen kann (vgl. KK-OWiG/Mitsch, 4. Aufl., § 17 Rn. 78 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil wird diesen Darlegungsanforderungen (noch) gerecht. Zwar sind die Zeitpunkte der den beiden Voreintragungen zugrunde liegenden Taten nicht genannt. Wegen des relativ kurzen Zeitraums zwischen den letzten Bußgeldentscheidungen und der verfahrensgegenständlichen Tat am 14. Juni 2016 konnte jedoch noch zwanglos vom Fortwirken der Warnwirkung der einschlägigen Voreintragungen auf den Betroffenen ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die warnende Wirkung auf den Betroffenen durch die nach eingetretener Rechtskraft erfolgten tatsächlichen Zahlungen der Bußgelder nochmals erneuert wurde. Es kann daher ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht unter Berücksichtigung der Tatzeitpunkte die Geldbuße in noch geringerem Maße oder gar nicht erhöht hätte.

c)

Dass das Amtsgericht keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Auch wenn ein Betroffener – wie hier – keine Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen macht, entbindet dies das Gericht grundsätzlich nicht von der Amtspflicht, die notwendigen Feststellungen – beispielsweise durch Vernehmung des Arbeitgebers – zu treffen, wenn sie gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG von Bedeutung sein können.

Die obergerichtliche Rechtsprechung lässt jedoch einige Einschränkungen dieses Grundsatzes zu. So ist inzwischen allgemein anerkannt, dass im Hinblick auf den in § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG festgeschriebenen Schwellenwert von 250,- € eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse prinzipiell entbehrlich ist, wenn das Regelbußgeld diesen Betrag nicht übersteigt und keine Besonderheiten vorliegen (so bereits Senat, Beschluss vom 3. Februar 1999, Az. 1 Ss 21/99; vgl. beispielhaft OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Dezember 2015, Az. 1 Ss OWi 163/15, m.w.N., zitiert nach juris; Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. März 2017, Az. Ss BS 11/2017 (6/17 OWi), m.w.N.).

Mittlerweile vertreten mehrere Oberlandesgerichte zudem die Ansicht, dass im Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten auch bei Geldbußen über 250,- € nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen entbehrlich sind, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind (vgl. OLG Braunschweig a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 20. März 2012, Az. III-3 RBs 441/11; OLG Oldenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2014, Az. 2 Ss OWi 278/14; KG Berlin, Beschluss vom 7. Januar 2014, Az. 3 Ws (B) 651/13, 162 Ss 136/13; OLG Celle, Beschluss vom 1. Dezember 2014, Az. 321 SsBs 133/14, jedenfalls für Geldbußen bis 500,- €; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. September 2011, Az. 1 Ss Bs 66/11, einschränkend auf Bußgelder bis zu 500,- €; jeweils zitiert nach juris). Dies soll auch dann gelten, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird (OLG Braunschweig, OLG Celle, Thüringer Oberlandegericht a.a.O.) Denn die Bußgeldkatalogverordnung enthält gemäß § 3 Abs. 4a BKatV eine generelle Regelung für die Bemessung der Bußgelder im Falle vorsätzlichen Handelns; auch insoweit geht der Verordnungsgeber von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus und hat zu erkennen gegeben, dass er den festgeschriebenen Regelsatz unter diesen Bedingungen für angemessen erachtet. Es ist daher nicht erkennbar, warum in den Urteilsgründen zu solchen wirtschaftlichen Verhältnissen noch weitere Feststellungen erforderlich sein sollten, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eben nicht von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen ist (OLG Braunschweig, OLG Celle, Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.). Schließlich soll nach obergerichtlicher Rechtsprechung die nähere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen (zumindest) auch dann entbehrlich sein, wenn zwar nicht die Regelgeldbuße, sondern ein angemessen erhöhtes Bußgeld von weniger als 250,- € verhängt wird und der Betroffene keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht, Anhaltspunkte für eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorliegen und eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu einer Verzögerung der Entscheidung führen würde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. Januar 2015, Az. III-3 RBs 354/14, zitiert nach juris).

Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten auch bei Geldbußen über 250,- € nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen entbehrlich sind, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind. Gleiches gilt, wenn die für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelte Regelgeldbuße festgesetzt wird. Diese Rechtsprechung ist auch auf Fälle anzuwenden, bei denen der Regelbußgeldsatz bzw. der gemäß § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelte Regelsatz nur um einen geringen Betrag erhöht wird. Denn auch dort beruht die Bußgeldbemessung letztlich im Wesentlichen auf der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 Abs. 3 S. 1 OWiG). Für die angenommene Erstreckung der dargestellten Rechtsprechung auf diese Fallkonstellation spricht zudem der Umstand, dass die andernfalls vom Tatgericht zu ergreifenden Aufklärungsmittel – wie etwa die Befragung des Arbeitgebers und der Nachbarn des Betroffenen oder die Durchsuchung seiner Wohnung nach Gehaltsunterlagen – schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirken würden, die angesichts der Bedeutung der Sache in der Regel als unverhältnismäßig erscheinen.

Demnach waren hier keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich. Da sich Indizien für außergewöhnlich gute oder schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen den Urteilsgründen nicht entnehmen lassen, bestand keine Veranlassung, hierzu weitere Feststellungen zu treffen.

4.

Die Nachprüfung des Urteils hat auch sonst keinen den Betroffenen benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

5.

Die Rechtsbeschwerde war deshalb mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.