In einem neueren Beschluss fasst das OLG Hamm zusammen, was es mit der halben Vorfahrt auf sich hat: An einer Kreuzung ohne besondere Vorfahrtsregelung ist ein Verkehrsteilnehmer gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, die sich von links nähern, vorfahrtsberechtigt, während er gegenüber denjenigen, die sich von rechts nähern wartepflichtig ist. Um dem Verkehr, der von rechts kommt, Vorrang zu gewähren, muss er mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren. Dies dient auch dem Schutz des – aus seiner Sicht – von links kommenden Verkehrs, sodass ihn bei einem Zusammenstoß mit dem Wartepflichtigen eine Mithaftung (wobei diese meist auf 25 % festgelegt wird) trifft, wenn er sich der Kreuzung mit einer zu hohen Geschwindigkeit nähert (OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 01.10.2015, Az. I-9 U 73/15).

Die Klägerin, deren Aktivlegitimation das Landgericht als erwiesen angesehen hat, hat gegen den Beklagt einen sich aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 8 StVO ergebenden, der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Verkehrsunfall vom 24.04.2012 entstandenen Schadens in voller Höhe. Denn der Verkehrsunfall ist durch das in dem feststehenden Vorfahrtsverstoß begründete grobe Verschulden des Beklagten verursacht worden. Angesichts dieses nach § 9 StVG, § 254 BGB in die Abwägung einzustellenden Verschuldens ist es gerechtfertigt, die von dem Fahrzeug der Klägerin ausgehende Betriebsgefahr unberücksichtigt zu lassen.

Mit dem Landgericht verneint auch der Senat einen schuldhaften Beitrag des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs unter dem Gesichtspunkt der „halben Vorfahrt“ . Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung nicht besonders geregelt, so stellt sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar gegenüber dem von links kommenden vorfahrtsberechtigt, gegenüber Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt beachten zu können, muss er, wie § 8 Abs. 2 S. 1 StVO vorschreibt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann. Diese mit „halber Vorfahrt“ bezeichnete Situation dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen (OLG Hamm, U. v. 06.05.2002 – 13 U 221/01 -, juris). Das Gutachten des Sachverständigen Prof. S. hat ergeben, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs nach den nicht zu widerlegenden Angaben dessen Fahrers so gewählt war, dass dieser auf aus seiner Sicht von rechts kommende Fahrzeuge rechtzeitig reagieren konnte und diesen das Vorfahrtsrecht hätte gewähren können.