Stefan Lampert, Wikimedia Commons

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Nimmt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein höheres Restwertangebot, das ihm der Schädiger oder dessen Versicherung unterbreitet, nicht an und veräußert es anderweitig, kann darin eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen. Das betrifft auch Angebote außerhalb des allgemeinen regionalen Markts. Der Geschädigte ist aber nicht dazu verpflichtet, auf derartige Angebote zu warten, bevor er das beschädigte Fahrzeug veräußert. Seine Schadensminderungspflicht und entsprechende Wartepflicht wird auch nicht dadurch ausgelöst, dass die Versicherung ein höheres Restwertangebot lediglich ankündigt (KG, Urteil vom 06.08.2015, Az. 22 U 6/15).

Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall vom 10. Januar 2014 gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners über den von dem Landgericht zugesprochenen Betrag hinaus gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB; §§ 7, 11, 17 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG ein Anspruch auf Zahlung weiterer 3.022,42 € zu, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen hat, der Kläger hätte das später von der Beklagten eingeholte höhere Restwertangebot abwarten müssen und nicht zuvor das Unfallfahrzeug verkaufen dürfen.

1. Bei der konkreten Abrechnung ist der tatsächliche Schaden, also der realisierte Restwert maßgeblich, der insoweit als Beleg des zurechenbaren Schadens insbesondere dann genügt, wenn dieser – wie hier – dem von einem Gutachter ermittelten Wert entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08NJW 2009, 1265 [12]; BGH, Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06NJW 2007, 1674 [10 f.]; BGH, Urteil vom 30. Mai 2006 – VI ZR 174/05NJW 2006, 2320, 2320 f. [8 f.]). Der Geschädigte muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer des Unfallgegners über das Internet recherchiert worden ist. Vielmehr darf sich der Geschädigte an dem Gutachten sowie dem regionalen Markt orientieren (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09NJW 2010, 2722 [7]; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08NJW 2010, 605 [9]; BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08NJW 2009, 1265 [9 f.]; BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/06NJW 2007, 2918 [10]; BGH, Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06NJW 2007, 1674, 1675 [10]; BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04NJW 2005, 3134 [II.1.]; BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04NJW 2005, 357, 357 f. [II.3.a)]; BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98NJW 2000, 800 [B.1.a)]), was auch der von ihm beauftragte Sachverständige zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08NJW 2009, 1265, 1265 f. [10]; BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04NJW 2005, 3134 [II.2.]; Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 48).

2. Da der von dem Geschädigten beauftragte Sachverständige nicht sein Erfüllungsgehilfe ist, kann dem Geschädigten nur ein eigenes Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB angelastet werden, was dann in Betracht kommt, wenn er hätte erkennen können, dass die Restwertermittlung des Sachverständigen keine verlässliche Grundlage darstellte. Vorliegend ist die sachverständige Ermittlung aber formal schon nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gutachter im Regelfall drei Angebote einzuholen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08NJW 2010, 605 [11]; BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08NJW 2009, 1265 [13], vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 48), während der von dem Kläger beauftragte Sachverständige hier nur zwei Angebote auf dem regionalen Markt ermittelte. Er gab jedoch ferner an, Angebote des allgemeinen regionalen Marktes hätten nicht erzielt werden können. Daraus rechtfertigt sich die Annahme einer Abweichung vom Regelfall, so dass dies nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls ist dem Kläger als Geschädigten nicht anzulasten, wenn er ein solches Gutachten zur Grundlage nimmt, zumal der Sachverständige ausdrücklich mit dem konkreten Zitat der maßgeblichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes verband, diese Rechtsprechung zu beachten.

3. Der Geschädigte kann sich ferner dann dem Einwand aussetzen, er habe den Schaden nicht zumutbar gemindert (§ 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB), wenn er ein ihm rechtzeitig übermitteltes und zumutbares höheres Restwertangebot des Versicherers des Unfallgegners nicht annimmt. Vorliegend hatte der Kläger das Unfallfahrzeug jedoch zuvor bereits veräußert gehabt.

a) Anders als das Landgericht meint, musste er auf ein Restwertangebot des Versicherers des Schädigers, insbesondere eines außerhalb des allgemeinen regionalen Marktes, nicht warten, weil dies die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92NJW 1993, 1849, 1851 [II.4.]; vgl. ferner BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98NJW 2000, 800, 802 [B.1.c)cc)]; BGH, Urteil vom 23. November 2010 – VI ZR 35/10NJW 2011, 667, 668 [12]; vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 46). Auch wenn diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes offenbar gelegentlich übersehen wird, gilt die Rechtsfrage als „seit langem geklärt“ (so Schneider, jurisPR-VerkR 17/2010 Anm. 3 zu C.).

b) Ausnahmen müssen in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden, weshalb lediglich ein rechtzeitiges bzw. vorheriges zumutbares erheblich höheres Angebot berücksichtigt werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09NJW 2010, 2722 [9]), wobei dann zumutbare überregionale Angebote bzw. zumutbare Angebote spezialisierter Händler einzubeziehen sind.

c) Das lässt sich auch nicht dadurch unterlaufen, dass der Versicherer des Schädigers dem Geschädigten ein Restwertangebot ankündigt, um ihn auf diese Weise entgegen der ausgeführten Rechtslage zur Aufgabe der ihm zustehenden Befugnis und zum Abwarten zu zwingen.