Auf der vom Kläger befahrenen Autobahn hatte sich nach einem Unwetter ein Stau gebildet. An diesem wollte der Kläger – ebenso wie offenbar auch andere Fahrzeuge – auf dem Seitenstreifen vorbeifahren. Der Lkw-Fahrer der Beklagten wollte ebenfalls von der rechten Fahrspur auf den Seitenstreifen wechseln und stieß dabei mit dem Fahrzeug des Klägers zusammen. Laut LG Bochum haftet die Beklagte zu 2/3: Beim Wechsel von einer Fahrspur auf den Seitenstreifen sei eine besondere Sorgfalt erforderlich. Der Fahrer müsse sich vergewissern, durch den Wechsel kein anderes Fahrzeug zu gefährden. Allerdings hafte auch der Kläger wegen der Benutzung des Seitenstreifens zu 1/3. Das Verbot, den Seitenstreifen zu benutzen, rechtfertige sich durch die besondere Gefährlichkeit und schütze auch den fließenden Verkehr auf den Fahrspuren (Urteil vom 27.10.2015, Az. 11 S 44/15).

Das Amtsgericht ist jedoch zu Recht bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge zu einer Haftung des Klägers zu 1/3 und der Beklagten zu 2/3 gekommen.

Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Dabei können bei der Beurteilung der jeweiligen Verkehrsverstöße nur solche Umstände berücksichtigt werden, die unstreitig oder bewiesen sind. Jede Partei muss dabei die Umstände beweisen, die zu Lasten der anderen Seite berücksichtigt werden sollen.

Den Kläger trifft vorliegend ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO. Er hat unstreitig den Seitenstreifen der Autobahn befahren, obwohl rechtfertigende Gründe hierfür nicht vorlagen. Der Seitenstreifen ist als Randstreifen nur für das Halten und Benutzen in Notfällen bestimmt. Er ist für den fließenden Verkehr gesperrt (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., StVO § 5, Rn. 57). Allein der Umstand, dass sich auf der gesamten Autobahn aufgrund der Folgen des Unwetters ein Stau gebildet hatte, rechtfertigt nicht die Mitbenutzung des Seitenstreifens, unabhängig davon, ob dies durch eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern so gehandhabt wurde. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 StVO dient dabei zumindest auch dem Schutz des fließenden Verkehrs auf den Fahrspuren und damit auch im vorliegenden Fall dem Schutz des Fahrers der Beklagten. Grundsätzlich dient das Verbot zwar insbesondere den Fahrzeugen auf den Fahrstreifen, die aus Gründen eines Notfalls den Seitenstreifen nutzen müssen. Diesen soll die Benutzung des Seitenstreifens in Notfällen ermöglicht werden, um etwa dort anhalten zu können. Unstreitig lag auf Beklagtenseite ein solcher Notfall nicht vor. Allerdings dient das Verbot der Nutzung des Seitenstreifens entgegen der Ansicht des Klägers auch dem Schutz des fließenden Verkehrs auf den Fahrspuren. Denn das Befahren und Halten auf dem Seitenstreifen stellt insbesondere für den Verkehr auf den Fahrstreifen ein besonders gefahrenträchtiges Fahrverhalten dar. Soweit der Kläger sich auf die Entscheidung des Oberlandesgericht Celle vom 22.02.2002, Az. 14 W 48/01, beruft, führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung. Den durch das Oberlandesgericht angeführten Überlegungen zur Frage der Kausalität folgt die Kammer nicht. So kann es nach Ansicht der Kammer nicht darauf ankommen, ob der verbotswidrig auf dem Seitenstreifen Haltende bei Vorliegen einer Panne bzw. eines Notfalles dort ebenfalls gehalten hätte. Vielmehr ist nach Ansicht der Kammer entscheidend, dass er sich bei regelgerechtem Verhalten dort nicht aufgehalten hätte. So hält das Oberlandesgericht in einer weiteren Entscheidung vom 12.12.2007, Az. 14 U 80/07, offenbar an seiner Ansicht auch nicht weiter fest. In diesem Fall hat es einen Verstoß gegen § 18 Abs. 8 StVO und damit ein Verschulden eines ohne ausreichenden Grund auf dem Seitenstreifen haltenden Lkw angenommen. Auch in der Kommentarliteratur (Geigel-Freymann, Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 27. Kapitel, Rn. 479) wird nach Ansicht der Kammer zutreffend darauf hingewiesen, dass das Halteverbot auf dem Seitenstreifen im Interesse der Verkehrssicherheit unumgänglich ist. Dies muss erst Recht für das Befahren des Seitenstreifens – wie im vorliegenden Fall – gelten. Der fließende Verkehr auf den Fahrstreifen braucht mit Verkehr auf dem Seitenstreifen nicht zu rechnen.

Auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im vorliegenden Fall war der Fahrer der Beklagten in diesen Schutzbereich des § 2 Abs. 1 StVO einbezogen. Denn auch hier hat sich die typische Gefahr, die von einem auf dem Seitenstreifen befindlichen Fahrzeug ausgeht, realisiert.

Den Fahrer des Lkw der Beklagten trifft ebenfalls ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO. Denn auch für den Fahrer des Lkw der Beklagten war das Befahren des Seitenstreifens der Autobahn nur in einem Notfall erlaubt. Ein solcher lag unstreitig nicht vor. Überdies trifft den Fahrer des Lkw der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 StVO. § 7 Abs. 5 StVO findet vorliegend keine direkte Anwendung. Danach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Fahrer der Beklagten wollte vorliegend vom rechten Fahrstreifen auf den Seitenstreifen wechseln. Der Seitenstreifen ist gem. § 2 Abs. 1 S. 2 StVO aber nicht Bestandteil der Fahrbahn. § 7 Abs. 5 StVO gilt aber nur für Fahrstreifen bzw. alle die Voraussetzungen des § 7 erfüllenden Fahrbahnen (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., StVO § 7, Rn. 21), mithin Bestandteile der Fahrbahn. Allerdings oblag dem Fahrer der Beklagten auch nach § 1 StVO die Pflicht, bei seinem Wechsel von der rechten Fahrspur auf den Seitenstreifen besondere Sorgfalt walten zu lassen und sich insbesondere zu vergewissern, dass durch sein Fahrmanöver kein anderes Fahrzeug auf dem Seitenstreifen gefährdet werden würde. Der Fahrer des Lkw der Beklagten hat diese Pflichten nicht ausreichend beachtet, da er das klägerische Fahrzeug bei Beachtung dieser Sorgfaltspflicht rechtzeitig hätte erkennen und den Fahrstreifenwechsel zurückstellen müssen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts sind nicht zu beanstanden und sind im Berufungsverfahren auch nicht angegriffen worden.

Bei der Abwägung dieser Verursachungsbeiträge hat das Amtsgericht mithin zu Recht eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten angenommen. Für eine vollständige Haftung der Beklagten besteht – entgegen der Ansicht des Klägers – im Rahmen der Abwägung kein Raum. Das Verschulden auf Beklagtenseite überwiegt zwar das klägerische Verschulden. Allerdings tritt eine Haftung des Klägers angesichts seines Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 StVO nicht vollständig zurück.