Der Betroffene wurde wegen eines Geschwindigkeits- und eines danach begangenen Abstandsverstoßes verurteilt. Das Urteil ist mit den Gründen zur Akte gelangt, war jedoch vom Richter nicht unterschrieben. Nur die Verfügung der Ausfertigung des Urteils und die Zustellung an die Beteiligten hat er mit einem Namenskürzel (Paraphe) versehen. Das führte schon auf die Sachrüge hin zur Urteilsaufhebung. Als fehlerhaft gerügt wurde außerdem, dass das Amtsgericht bei den zwei nacheinander erfolgten Verstößen Tateinheit angenommen und gegen den Betroffenen eine Gesamtgeldbuße verhängt hat (Beschluss vom 21.01.2016, Az. Ss (BS) 5/2016 (2/16 OWi)).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 4. November 2015 mit den zugrunde liegenden Feststellungen  a u f g e h o b e n  und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht St. Ingbert  z u r ü c k v e r w i e s e n.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig tateinheitlichen begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit namentlich wegen des Überschreitens der zuläs-sigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h bzw. 43 km/h nach Toleranzabzug, sowie der Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes (so die allein maßgebende, von der Niederschrift des Urteils abweichende Urteilsformel laut Hauptverhandlungsprotokoll: vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 268 Rn. 18 m. w. N.) zu einer „Gesamtgeldbuße“ in Höhe von 330,– € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Gegen dieses am 04.11.2015 verkündete Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. November 2015 – im Original eingegangen beim Amtsgericht am 11.11.2015 (das dem Original vorgeheftete Telefax jenes Schriftsatzes weist keinen gerichtlichen Eingangsstempel auf) – Rechtsbeschwerde eingelegt, die der Verteidiger nach am 23.11.2015 erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils an ihn mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2015 – eingegangen beim Amtsgericht am 16.12.2015 – mit der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 341 Abs. 1, § 344, § 345 StPO) führt mit der Sachrüge, die hier, auch wenn dies nicht ausdrücklich geschehen ist, durch die geltend gemachten Verletzungen materiellen Rechts in zulässiger Weise erhoben worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 344 Rn. 14), zu einem – zumindest vorläufigen – Erfolg.

1. Grundlage der auf die Sachrüge hin erforderlichen materiell-rechtlichen Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht sind allein die Urteilsurkunde und die Abbildungen, auf die nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) verwiesen worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 337 Rn. 22; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 37), also die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß 275 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2011, 348 f. – juris Rn. 4). Enthält ein Urteil entgegen § 267 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) keine Gründe, hat die Rechtsbeschwerde allein aus diesem Grunde schon mit der (zulässigen) Sachrüge – einer Verfahrensrüge bedarf es insoweit nicht – Erfolg, weil das Rechtsbeschwerdegericht ein Urteil ohne Gründe keiner Prüfung auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit unterziehen kann (vgl. BGHSt 46, 204, 206; OLG Hamm, Beschl. v. 10.01.2013 – III-3 RBs 296/12, juris Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 338 Rn. 52).

Nicht anders verhält es sich, wenn das Urteil zwar mit den Gründen zur Akte gelangt ist, jedoch sämtliche richterlichen Unterschriften oder die Unterschrift des einzigen Berufsrichters fehlen (vgl. BGH, a. a. O.; OLG Hamm, a. a. O.; OLG Bamberg NJW 2013, 2212 f. – juris Rn. 7; Senatsbeschluss vom 4. Februar 2013 – Ss (Z) 254/12 (11/13 OWi) -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 275 Rn. 29; KK-Greger, a. a. O., § 275 Rn. 68). Auch in diesem Fall liegt ein bereits auf die zulässige Sachrüge hin beachtlicher Mangel des Urteils vor, der zu dessen Aufhebung führt. Bei den vorhandenen schriftlichen Gründen handelt es sich in einem solchen Fall lediglich um einen Entwurf und keine endgültig fertig gestellte Urteilsbegründung (vgl. BGH, a. a. O.; OLG Hamm, a. a. O.). Vollständig ist das Urteil erst dann, wenn es – abgesehen von dem Fall der Verhinderung (vgl. hierzu § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO) – die Unterschriften aller Berufsrichter, die an ihm mitgewirkt haben, trägt (vgl. BGHSt 27, 334, 335; 28, 194, 195; BGH StV 1984, 275 – juris Rn. 1; NStZ-RR 2000, 237 f. – juris Rn. 5; StV 2010, 618 – juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 275 Rn. 4; KK-Greger, a. a. O., § 275 Rn. 21, 23).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze leidet das angefochtene Urteil an einem auf die Sachrüge hin beachtlichen Mangel, da das mit den Gründen zur Akte gelangte – wann dies geschehen ist, hat die zuständige Geschäftsstelle des Amtsgerichts entgegen § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) allerdings nicht vermerkt – schriftliche Urteil (Bl. 32 ff. d. A.) keine Unterschrift des Bußgeldrichters trägt (Bl. 36 d. A.). Daran ändert auch nichts, dass der Bußgeldrichter noch innerhalb der fünfwöchigen Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 StPO) sowohl die Ausfertigung des Urteils (Bl. 29 Rs d. A.) als auch dessen Zustellung an die Verfahrensbeteiligten verfügt (Bl. 28 und 31 d. A.) er diese Verfügungen mit seinem Namenskürzel „M.“ versehen hat. Abgesehen davon, dass eine solche Paraphe ohnehin nicht den an eine ordnungsgemäße Unterschrift zu stellenden Anforderungen genügen würde (vgl. nur OLG Köln NStZ-RR 2011, 348 f. – juris Rn. 6; KK-Greger, a. a. O., § 275 Rn. 25), lässt es das in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO formulierte, auch für ein Bußgeldurteil geltende (§ 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG) Gebot, dass das Urteil von den Berufsrichtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben ist, nicht zu, dass die den Urteilstext abschließende Unterschrift durch eine an anderer Stelle in der Akte befindliche Unterschrift des mitwirkenden Richters ersetzt wird (vgl. BGH StV 2010, 618 – juris Rn. 2). Die fehlende Unterschrift kann, nachdem die fünfwöchige Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO (i. V. mit § 46 Abs. 1 OWiG) bereits am 09.12.2015 abgelaufen ist, auch nicht mehr nachgeholt werden (vgl. BGHSt 27, 334, 335; 28, 194, 196; 46, 204, 205; BGH StV 1984, 275 – juris Rn. 1; NStZ-RR 2000, 237 f. – juris Rn. 5; StV 2010, 618 – juris Rn. 2; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348 f. – juris Rn. 5; OLG Hamm, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 275 Rn. 6; KK-Greger, a. a. O., § 275 Rn. 23; a. A.: Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 275 Rn. 36).

3. Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i. V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich in Fällen, in denen der Fahrzeugführer während einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstößt, bei den einzelnen Verkehrsverstößen in der Regel selbst dann um jeweils selbstständige Handlungen, wenn die Verkehrsordnungswidrigkeiten gleichartig sind. Ein Ausnahmefall – also eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit – kann noch nicht angenommen werden, wenn die Geschwindigkeitsverstöße und/oder Abstandsunterschreitungen zwar in einem engen zeitlichen Rahmen erfolgten, jedoch jeweils in unterschiedlichen Verkehrssituationen begangen wurden und unschwer voneinander abzugrenzen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Mai 2014 – Ss (B) 82/2012 (59/12 OWi) -, juris Rn. 25 m. w. N.). Die Verhängung einer – an die Bildung einer Gesamtstrafe (§ 53 StGB) angelehnten – „Gesamtgeldbuße“, die im Falle der vom Amtsgericht angenommenen Tateinheit (§ 19 OWiG) ohnehin nicht in Betracht kommt, ist nach § 20 OWiG selbst im Falle der Tatmehrheit nicht zulässig (vgl. OLG Karlsruhe VRS 108, 63 ff. – juris Rn. 4; OLG Hamm DAR 2015, 535 ff. – juris Rn. 11; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., Vor § 19 Rn. 12, § 20 Rn. 2).