Gegenstand dieses Rechtsstreits war die Frage, ob die Leistungsart “Ordnungswidrigkeiten-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit” nach § 2 lit. j ARB 2010 bzw. ARB 2000 in einer Firmen-Rechtsschutzversicherung auch die Verteidigung gegen eine selbständige Verfallsanordnung gemäß § 29a OWiG umfasst. Der Versicherer hatte das verneint; das LG München I hat jedoch der Klage stattgegeben. Laut OLG München zu Recht (Hinweisbeschluss vom 12.08.2016, Az. 25 U 3066/16).

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 09.06.2016, Az. 25 O 23514/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe:

Das Landgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung im tenorierten Umfang stattgegeben. Die Einwendungen der Beklagten in der Berufungsbegründung führen zu keiner anderen Bewertung.

Versichert ist nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen „Ordnungswidrigkeiten-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit“ im Rahmen einer Firmen-Rechtsschutzversicherung.

Wie bereits das Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils näher dargelegt hat, ist für die Auslegung dieser Klausel nach ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der Klausel maßgeblich, und zwar grundsätzlich nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., Einleitung, Rn. 271). Eine gewisse Einschränkung besteht bei Ausdrücken der Rechtssprache. Ausdrücke, mit denen die Rechtssprache feste Begriffe verbindet – wie hier „Ordnungswidrigkeit“ -, sind im Zweifel in diesem Sinne zu verstehen (vgl. Armbrüster, aaO, Rn. 272).

Hiervon ausgehend teilt der Senat die Bewertung des Landgerichts, dass es sich bei der Rechtsverteidigung gegen eine – selbständige – Verfallsanordnung gemäß § 29a OWiG um die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit handelt. Auf die Begründung des Landgerichts wird zunächst Bezug genommen, ergänzend ist Folgendes anzumerken:

In § 1 Abs. 1 OWiG ist eine Ordnungswidrigkeit legaldefiniert als eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Es handelt sich um eine rein formale Definition, indem einzig und allein an die vom Gesetzgeber angedrohte Rechtsfolge angeknüpft wird; als zulässige Rechtsfolge muss die Ahndung mit einer Geldbuße lediglich vorgesehen sein (Rogall in KK-OWiG, 4. Aufl., § 1 Rn. 1, Rn. 9) – nicht aber tatsächlich erfolgen. Wenn begrifflich eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, kommen als Rechtsfolge neben einem Bußgeld vielmehr auch andere Rechtsnachteile und Unrechtsfolgen in Betracht, wie z.B. Einziehung oder Verfall (vgl. Rogall, aaO, Rn. 11 ff., 15). Nach seiner Rechtsnatur ist der Verfall wie die Einziehung sog. „Nebenfolge“ einer Ordnungswidrigkeit; dem steht nicht entgegen, dass beim Verfall gemäß § 29a OWiG aufgrund der gesetzlichen Konzeption eine Kombination von Hauptrechtsfolge und Nebenfolge ausgeschlossen ist (vgl. näher Rogall, aaO, § 29a, Rn. 5: „Man kann den Begriff der „Nebenfolge“ aber auch abstrakt definieren; und zwar als die untergeordnete Tatfolge im Haupt- und Nebenfolgen umfassenden gesetzlichen System der staatlichen Reaktionen auf Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen.“). Die Zugehörigkeit auch des Verfalls zum Reaktionskatalog auf Ordnungswidrigkeiten zeigt auch die Einbettung in die Systematik des OWiG. Die eigentliche Regelung des § 29a befindet sich im Ersten Teil des OWiG, also in den „Allgemeinen Vorschriften“, wobei im betreffenden Sechsten Abschnitt daneben in § 30 die Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen geregelt ist – eine Sanktion, die offensichtlich auch nach Ansicht der Beklagten vom Versicherungsschutz umfasst wäre. Die zugehörigen verfahrensrechtlichen Regelungen finden sich im Zweiten Teil des OWiG – „Bußgeldverfahren“ -; im dortigen Achten Abschnitt, „Verfahren bei Anordnung von Nebenfolgen oder …“, regelt § 87 die Anordnung von Einziehung und Verfall. Gemäß § 87 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 OWiG steht die Verfallsanordnung einem Bußgeldbescheid gleich.

Ausgehend von dieser gesetzlichen Konzeption und abstellend auf die maßgebliche Sicht eines durchschnittlichen, verständigen Versicherungsnehmers besteht nach Auffassung des Senats kein Zweifel daran, dass sich die Klägerin mit ihrer Rechtsverteidigung gegen die – an einen Ordnungswidrigkeitentatbestand anknüpfende – Verfallsanordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 04.07.2014 (Anlage K 6) und gegen den nachfolgenden Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 18.02.2015 (Anlage K 8; der Beschluss trägt bezeichnenderweise ein OWi-Az. und schon das Rubrum beinhaltet: „In dem Bußgeldverfahren … wegen OWi …“) gegen „den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit“ zur Wehr gesetzt hat.

Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung kommt es nicht darauf an, dass kein Bußgeldbescheid erging – darauf stellt die Formulierung der Versicherungsbedingungen nicht ab. Ebensowenig ist entscheidend, dass nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.08.2002, 1 StR 115/02, der Verfall in Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf das Schuldprinzip nicht als Strafe oder strafähnliche Maßnahme, sondern als Maßnahme eigener Art einzuordnen ist – zumal vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer keine Kenntnis der BGH-Rechtsprechung zu erwarten ist. Schließlich ist keine Grundlage für die Rechtsansicht der Beklagten ersichtlich, dass ein Ordnungswidrigkeitenverfahren im Rechtssinne erst dann vorliegen würde, wenn ein solches nicht nur formal eingeleitet wurde, sondern in diesem (konkreten) Verfahren darüber hinaus auch der Erlass eines Bußgeldbescheides vorgesehen ist. Im Übrigen wäre vorliegend wohl grundsätzlich auch eine Geldbuße nach § 30 OWiG in Betracht gekommen.

Auch die Argumentation zu den Kostenregelungen im Kostenverzeichnis (KV) zum GKG überzeugt nicht. Zwar sind im Teil 4., Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, die Nrn. 4110, 4120 KV im Hauptabschnitt 1., Bußgeldverfahren, gemäß der dortigen Vorbemerkung 4.1 wohl nicht einschlägig. Es gibt aber daneben Hauptabschnitt 2., Einziehung und verwandte Maßnahmen, mit Nrn. 4210 ff. KV, die gemäß Vorbemerkung 4.2 für die Verfahren über die Einziehung und dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 442 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) gelten – also auch für den Verfall. Gerichtsgebühren fallen danach im selbständigen Verfallsverfahren bei Ordnungswidrigkeiten zwar nicht erstinstanzlich, aber in zweiter Instanz an (vgl. Zimmermann in Binz/Dörndorfer, GKG u.a., 3. Aufl., KVGKG 4110, Rn. 1 – 6; Heidrich in KK-OWiG, 4. Aufl., § 105 Rn. 90, 132 ff., 137); die zu Strafsachen gehörigen Nrn. 3410 ff. KV dürften hingegen nicht einschlägig sein.

Entgegen der Ansicht des Berufungsbegründung unter Ziffer 2. hat das Erstgericht seine Auffassung über das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers sehr wohl und auch nachvollziehbar begründet. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Auch wenn es beim Verfall um die Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile geht, handelt es sich aus Sicht des Versicherungsnehmers klar um ein Verfahren „im Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit“. Denn – ähnlich bereits das Erstgericht in den Entscheidungsgründen – § 29a OWiG setzt voraus, dass der Täter bzw. ein Dritter für eine mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr etwas erlangt hat. Die hier wiederholte Behauptung der Beklagten, dass das Verfallsverfahren nach der gesetzgeberischen Konzeption und dem BGH kein Ordnungswidrigkeitenverfahren sei, ist, wie oben erläutert, unzutreffend.

Das Erstgericht hat auch zu Recht das erforderliche Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag bejaht. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 29.04.2016 (Bl. 24/26 d.A.) geschätzten Kosten mögen weit zu hoch angesetzt sein (Näheres dazu im Hinweis der Einzelrichterin zum parallel hier anhängigen Streitwertbeschwerdeverfahren, Az. 25 W 1345/16). Dass im weiteren Verfahren neben den vom Landgericht unter Ziffer 1. des Tenors ausgeurteilten Rechtsanwaltskosten noch weitere ggf. erstattungspflichtige Kosten (besondere Kosten, eigene notwendige Auslagen, vgl. Heidrich, aaO; vgl. auch Gieg in KK-StPO, 7. Aufl., § 472b, Rn. 2) anfallen können, ist danach aber jedenfalls anzunehmen.

Der Tenor ist in Ziffer 2. auch nicht zu weit gefasst. Bei dem Antrag geht es um die Feststellung, ob – bezüglich weiterer etwaiger Rechtsverteidigungskosten in dem betroffenen Bußgeldverfahren des Amtsgerichts Karlsruhe – grundsätzlich Deckungsschutz besteht. Dass der Beklagten dadurch sonstige Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag nicht abgeschnitten werden, ist durch die Formulierung „im Umfang ihres vertraglich festgelegten Leistungsumfanges“ hinreichend klargestellt.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).