Joachim Müllerchen, Wikimedia Commons

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Nach einer Geschwindigkeitsmessung wurde der Betroffenen vorgeworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerorts um 24 km/h überschritten zu haben. Auf der Straße befand sich zu diesem Zeitpunkt an einer Brücke eine Baustelle. Die Stadt ließ davor in einer Entfernung von ca. 38 m ein mobiles 30 km/h-Schild aufstellen; unmittelbar vor diesem Schild war ein (festes) Zeichen 103 (Kurve) angebracht. In der zur Geschwindigkeitsbegrenzung ergangenen verkehrsrechtlichen Anordnung wurde die Aufhebung der Begrenzung nicht geregelt; gleichwohl befand sich in einiger Entfernung zur Baustelle das Zeichen 282 (Ende sämtlicher streckenbezogener Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote), das vermutlich ein Bauunternehmer dort aufgestellt hatte. Das Messgerät, das in einer Entfernung von 125 m hinter der Baustelle und vor dem Zeichen 282 aufgestellt war, hat die Messung der Betroffenen in einer Entfernung von 83 m nach der Baustelle gestartet. Das AG Zittau sieht zunächst das Zeichen 282 als unwirksam bzw. nichtig an, da nicht von der zuständigen Behörde angeordnet, an. Allerdings seien das Zeichen 103 sowie die Begrenzung, wenn auch hintereinander angebracht, als zusammengehörig anzusehen, so dass die Begrenzung mit dem Ende der Gefahrenstelle aufgehoben sei. Die zuständige Behörde wurde vom Gericht außerdem noch darauf hingewiesen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung nur bei einer Gefahr und für deren Dauer angeordnet werden dürfe. Dies sei im Messbereich nicht mehr der Fall gewesen, so dass die Geschwindigkeitsbegrenzung dort nicht mehr erforderlich und rechtswidrig gewesen sei. Dann aber könne der Betroffenen kein Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gemacht weden. Es folgte ein – mittlerweile rechtskräftiger – Freispruch für die Betroffene (AG Zittau, Urteil vom 20.04.2016 – 5 OWi 260 Js 28833/15).

Die Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Nach dem Bußgeldbescheid der Stadtverwaltung Löbau vom 24.08.2015, Az.; 50057506, liegt der Betroffenen folgender Sachverhalt zur Last:

Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h.
Zulässige Geschwindigkeit: 30 km/h.
Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 54 km/h
§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, § 49 StVO, 11.3.4 BKat

Von diesem Vorwurf war die Betroffene aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

Nach den von dem Gericht getroffenen Feststellungen ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Außerhalb des unmittelbaren Stadtgebietes der Stadt Löbau verbindet die S 115 die Ortlage Großdehsa mit der Ortslage Oelsa. Die S 115 wird zwischen den beiden Ortslagen von einer ehemaligen Bahnlinie gequert, welche mittels einer Brücke über die S 115 geführt wird. Diese ehemalige Bahnlinie wurde im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015 zu einem Radweg umgebaut. An der unmittelbaren Brückenüberführung wurde eine Auffahrt/Abfahrt zur Benutzung des Radweges errichtet. Diese Zu-/Abfahrt befindet sich auf der der Ortslage Großdehsa zugewandten Seite der Überführung. Zum Zeitpunkt der hier gegenständlichen Geschwindigkeitsmessung wurde auf der Brücke bzw. an der beschriebenen Auffahrt/Abfahrt für den Radweg auf der Großdehsa zugewandten Seite gebaut. Hinsichtlich der Baustelle erließ die Stadtverwaltung Löbau am 29.07.2014 zunächst eine verkehrsrechtliche Anordnung betreffend der. Fahrzeuge, welche sich aus Richtung Oelsa in Richtung Großdehsa der Baustelle näherten. Für diese Fahrzeuge, welche am ehemaligen Tanklager vorbei in Richtung der Brückenbaustelle fuhren, wurde Folgendes angeordnet:

„Auf der S 115 BW 9 (ehem. Tanklager) Einrichtung eines Geschwindigkeitstrichter mit VZ 274-57, 274-55 und 274-53! Aufhebung mit VZ 282!“

Diese Anordnung betraf den Zeitraum vom 14.07.2014 bis 31.05.2015.

Die in dem angeordneten Geschwindigkeitstrichter genannten Verkehrszeichen wurden als mobile Schilder angebracht.

Ohne diesen Geschwindigkeitstrichter gilt für beide Fahrtrichtungen die ansonsten außerhalb geschlossener Ortschaft zulässigen 100 km/h. Fest montiert befand sich zum Tatzeitpunkt und heute für beide Fahrtrichtungen das VZ 103 mit dem Hinweis -Achtung Kurve-, weil die im unmittelbaren Brückenbereich liegende Kurve aufgrund der baulichen Gegebenheiten für beide Fahrtrichtungen eine besondere Gefahrenstelle birgt.

Für die Fahrzeuge, welche sich auf der S 115 aus Richtung Großdehsa in Richtung Oelsa der Brückenbaustelle näherten, wurde kein Geschwindigkeitstrichter eingerichtet. Dies betraf die Fahrtrichtung der Fahrzeuge, welche, wie hier das Fahrzeug der Betroffenen, messtechnisch erfasst wurden. Hierzu erließ die Stadtverwaltung Löbau am 17.04.2015 folgende verkehrsrechtliche Anordnung:

„Halbseitige Sperrung der Fahrbahn im unmittelbaren Arbeitsbereich gem. Regelplan C I/5 (örtlich anpassen)l Zusätzliche Aufstellung VZ 274-53!“

Diese verkehrsrechtliche Anordnung galt für den Zeitraum vom 20.04.2015 bis 12.05.2015. Das erwähnte Verkehrszeichen 274-53 wurde als mobiles Verkehrszeichen hinter dem stationären Verkehrszeichen 103 in einer Entfernung von 38,7 m vor der Brücke aufgestellt. Auf dieser Seite befindet sich auch die Auffahrt zu der Brücke bzw. den dort angelegten Radweg.

In der zitierten verkehrsrechtlichen Anordnung vom 15.04.2015 wurde keine Regelung zur Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung getroffen. Gleichwohl war am Tattag ein VZ 282 für die Fahrtrichtung der von der Messung betroffenen Fahrzeuge angebracht. Dies war in einer Entfernung von 234,34 m nach Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung gemäß VZ 274-53 angebracht. Die Brücke selbst endete 44,1 m nach Anbringung des Verkehrszeichens 274-53. Die Fahrzeuge, die messtechnisch erfasst wurden, fuhren somit in einer Entfernung von 38,7 m an dem VZ 274-53 vor der Brücke vorbei, ließen das Ende der Brücke 44,1 m nach diesem Verkehrszeichen hinter sich und fuhren eine buckelförmige Steigung hinauf. Rechts und links der Straße die Steigung hinauf befindet sich Gras- und Gebüschbewuchs, in Fahrtrichtung rechts zudem ein angedeuteter Straßengraben. Ein- oder Ausfahrten gibt es die Steigung hinauf keine. Am Ende der Steigung nach Erreichen einer Ebene befindet sich die Einfahrt zu einem geschotterten Feldweg, die sogenannte „Alte Straße“.

Dort, in einer Entfernung von 125,24 m nach dem Ende der Brücke und der Brückenbaustelle, positionierten die Messbediensteten das Geschwindigkeitsmessgerät und parkten ihr Einsatz-Kfz mittig auf diesem Weg die Hälfte der Fahrbahn des Weges versperrend.

Das Fahrzeug der I des Betroffenen wurde messtechnisch in einer Entfernung von 49,84 m vom Messgerät erfasst, mithin 75,40 m nach Ende der Brücke bzw. Brückendurchfahrt. Gestartet wurde die eigentliche Messung 42,14 m vom Messgerät entfernt, mithin 83,10 m nach dem Ende der Brücke und der Brückenbaustelle. Beendet wurde die Messung des Fahrzeugs des I der Betroffenen 95,22 m nach dem Ende der Brücke/Brückendurchfahrt. Das Kfz des/der Betroffenen wurde mit einer Geschwindigkeit von 54 km/h -toleranzbereinigt- festgestellt.

III.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten Beweisaufnahme.

Die Betroffene hat die Fahrereigenschaft eingeräumt.

Die Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, dass an dem Tag die Baustelle verwaist war. Niemand sei auf der Baustelle gewesen. Eine dort befindliche vormalige Ampelanlage sei außer Betrieb und zudem mit der Rückseite dem anfahrenden Verkehr zugewandt am Straßenrand vor der Brücke abgestellt gewesen.

Das Gutachten des von der IHK Dresden öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Geschwindigkeitsmessverfahren im Straßenverkehr, R…, wurde verlesen. Auf die Abbildungen zu den Messörtlichkeiten in dem Gutachten und in der Akte, Blatt 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53 und 54 wird gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen.

Auf die Abbildungen der Fahrtrichtung des von der Messung nicht betroffenen Gegenverkehrs von Richtung Oelsa in Richtung Großdehsa und des Standorts des Messgeräts, Blatt 35 bis. 36 der Akte, wird gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen.

Ebenso wird auf die Luftbildaufnahme der Messörtlichkeiten Blatt 8 der Akte gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen. Gleiches gilt für die Lichtbildaufnahmen Blatt 9, 11, 13, 18, 19 der Akte, auf die ebenfalls gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen wird.

Die verkehrsrechtlichen Anordnungen der Stadt Löbau vom 29.07.2014 und vom 17.04.2015 wurden verlesen.

IV.

Die Betroffene war im vorliegenden Fall aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil ihr das erforderliche pflichtwidrige Handeln nicht nachgewiesen werden kann.

Zunächst ist festzustellen, dass die verkehrsrechtliche Anordnung für die betroffene Fahrtrichtung hinsichtlich der Anordnung des VZ 274-53 keine verkehrsrechtliche Anordnung in Bezug auf eine Aufhebung enthält. Auch wenn § 45 StVO den zuständigen Behörden entsprechende Ermächtigungen erteilt, Beschränkungen für den fließenden Verkehr anzuordnen, so gilt jedoch, dass Verkehrsbeschränkungen durch Verkehrszeichen und Einrichtungen nur die zuständige Behörde anordnen kann. Wer auch immer das Aufhebungszeichen an dem Standort reichlich 190 m nach Ende der Brückendurchfahrt aufgestellt hat- auf die Lichtbilder Blatt 8, 9 zweites Bild, 11 und 50 der Akte wird gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen- , die zuständige Behörde hat in der dazugehörigen verkehrsrechtlichen Anordnung als Allgemeinverfügung keine Entscheidung getroffen. Der Bauunternehmer oder eine andere Personen als die zuständige Behörde darf nur die Anordnung durchführen und dabei nicht von ihr abweichen, sonst sind von ihm aufgestellte Vorschriftszeichen nichtig, auch wenn sie als sachgemäß erscheinen können (vgl. Hentschel/König/Dauer, Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 45 StVO, Rn. 45 m.w.N).

Hinzu kommt, dass die Betroffene das Gefahrenschild 103, Achtung Kurve, zusammen mit dem VZ 274-53 passiert hat. In der Vorliegenden Konstellation bezogen sich beide Verkehrszeichen -auch wenn seinerzeit hintereinander angebracht- auf die örtlich selbige Gefahrenstelle mit der Maßgabe, dass die Kurve inmitten der damaligen Baustelle im Bereich der zu bauenden Radwegzuführung unmittelbar vor der Brücke lag. Insoweit wird gem. 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die Lichtbilder Blatt 9, 46, 49 Zweites Bild, 52, 53 Bild vier, 54 Bild fünf verwiesen.

Die Kurve und die seinerzeit durch Warnbaaken gekennzeichnete Baustelle -auf die Lichtbilder Blatt 9 erstes Bild und Blatt 35 erstes und zweites Bild wird gem. § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen- war nach dem Passieren der Brücke erkennbar vorbei, zumal sich die Brückenauf und -zufahrt zu dem in Bau befindlichen Radweg vor der Brücke befand. Wird das VZ 274 zusammen mit einem Gefahrenzeichen angebracht, so endet es auch ohne Aufhebungszeichen, wo die angezeigte Gefahr zweifelsfrei nicht mehr besteht (vgl. Hentschel/König/Dauer, Kommentar zur StVO, § 3 Rn. 45b, vgl. auch Burmann/Hess/Jahnke/Janker, Kommentar zur StVO, § 3 Rn 68 mwN). Entsprechend formulieren die Richtlinien für die verkehrsrechtliche Sicherung von Arbeitsstellen an und auf Straßen, RSA, Teil A, 2.4 (18):

„Das Ende einer Verbotsstrecke wird nicht gekennzeichnet, wenn das Streckenverbotszeichen zusammen mit einem Gefahrenzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht…“

Abschließend ist hinsichtlich der Geschwindigkeitsmessung durch die Stadt Löbau im Zusammenhang mit der verkehrsrechtlichen Anordnung der Stadt Löbau unbeschadet der fehlenden Regelung zu einem Aufhebungszeichen für den Fall, die Stadt Löbau hätte wirksam Die Aufstellung des Aufhebungszeichens 282 in der konkreten Entfernung angeordnet, folgendes auszuführen:

Der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens ergibt sich letztlich aus dem Schutzzweck(-zusammenhang), wonach zum Schutz vor Gefahren entsprechende Geh- oder Verbote erlassen werden können. Das heißt umgekehrt, dass die damit immer einhergehende Beschränkung des Einzelnen, hier in Gestalt des fließenden Verkehrs, sich nicht aus sich selbst heraus rechtfertigt, sondern im Rahmen der dazu erlassenen Ermächtigungsgrundlage dem erkennbaren Schutzzweck zu dienen hat.

Das Zeichen 274-53 ist, wie andere Verkehrsverbote und -gebote, ein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.09.2010, Az. C 37/09, Rn. 15 mwN). Der rechtliche Maßstab für die Beurteilung derartiger Verbote ergibt sich demnach aus § 45 Abs. 1 und Abs. 9 der StVO.

§ 45 Abs. 1 StVO, der als Ermächtigungsgrundlage mit der Anfügung von § 45 Abs. 9 StVO durch die 24. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 07.08.1997 zwar modifiziert, nicht aber ersetzt worden ist, setzt somit i.V.m. § 45 Abs. 9 S. 2 StVO für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die -1.- auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und -2.- das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt (vgl. Bundesverwaltungsgericht a.a.O., Rn 23 ff.).

Die besonderen örtlichen Verhältnisse bargen in dem Bereich, wo die Fahrzeuge im Entfernen von der Brückenbaustelle messtechnisch erfasst wurden, keine Gefahrenlage mehr, womit der spezifische Schutzzweck entfiel. Die durch VZ 103 angezeigte Kurve war ebenso wie die Baustelle, für die die Geschwindigkeitsbegrenzung vorgesehen war, aufgrund der zurückgelassenen Baustelle deutlich entfernt. Dadurch ergab sich auch keine besondere Gefahrenlage mehr, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigen konnte, zumal die Stadt Löbau in diesem Bereich die Geschwindigkeit nach wie vor im Bereich von 100 km/h für zulässig und angebracht hält. Sie geht demnach selbst nach wie vor nicht von einer besonderen Gefährdungslage außerhalb, bzw. hinter der Brücke aus. Wäre aber insoweit die Aufrechterhaltung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in der Entfernung von der Brückendurchfahrt, in der die Messung aufgenommen und beendet wurde, nach den Kriterien des Bundesverwaltungsgerichtes wohl rechtswidrig und dementsprechend auch nicht mehr erforderlich, kann umgekehrt der Betroffenen hieraus nicht der Vorwurf eines Handlungsunrechts durch pflichtwidriges Verhalten gemacht werden, der die Ahndung mit einem Bußgeld rechtfertigt.

V.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StVO.