Die bisherige Rechtsprechung des AG Trier eignete sich immer gut, um Behörden oder andere Gerichte von der Übersendung der gewünschten Messdaten zu überzeugen. Eine Besonderheit war auch, dass das AG Trier – ebenso wie nun das AG Daun – die Verwaltungsbehörde angewiesen hatte, Wartungsunterlagen zum Messgerät herauszugeben, denn bei vielen anderen Amtsgerichten in Rheinland-Pfalz werden Verteidiger pauschal damit “abgespeist”, dass die dortigen Polizeibehörden keine Lebensakten führen. Seine Rechtsprechung hat das AG Trier nun sowohl hinsichtlich der Messserie sowie der Wartungsunterlagen/Lebensakte ohne große Begründung aufgegeben und verneint jeweils einen Einsichtsanspruch. Die Begründung dafür stimmt in weiten Teilen mit einem unveröffentlichten Beschluss des AG Mainz vom 06.01.2016 – 409 OWi 831/15 – überein, welchen es insofern missversteht, als es davon auszugehen scheint, dass das “TUFF-Format” sämtliche Falldaten eines Jahres meint. Wieso das AG im Übrigen nunmehr dieser Ansicht des AG Mainz statt seiner bisherigen folgt, bleibt unklar (AG Trier, Beschluss vom 09.03.2017 – 35 OWi 967/16).

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verweigerung der weitergehenden Akteneinsicht wird als unbegründet verworfen.

2. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Betroffene begehrt über seinen Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht in einem Bußgeldverfahren über die Zentrale Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz (im Folgenden: Bußgeldstelle) gewährte Akteneinsicht hinaus weitergehende Auskünfte, beziehungsweise die Übersendung weiterer Unterlagen.

Dem Betroffenen wird in der Anhörung durch die Bußgeldstelle vom 29.07.2016 zur Last gelegt, am … um … Uhr auf der A1, km 133,175, Gemarkung Rial, Fahrtrichtung Saarbrücken als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen eine Ordnungswidrigkeit durch Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h unter Berücksichtigung einer Toleranz von 4 km/h begangen zu haben. Als Messgerät wurde das Gerät Vitronic Poliscan Speed verwendet.

Nach Übersendung der Anhörung bestellte sich mit Schriftsatz vom 23.09.2016 dessen Verteidiger und begehrte Akteneinsicht Dem Antrag wurde durch Übersendung einer Kopie der Bußgeldakte nachgekommen.

Mit Datum vom 20.10.2016 erging gegen den Betroffenen ein Bußgeldbescheid, der am 25.10.2016 zugestellt wurde.

Der Verteidiger legte gegen den Bußgeldbescheid mit Datum vom 07.11.2016 Einspruch ein, den er mit Schriftsatz vom 23.11.2016 begründete. Zudem wurde beantragt, dem Verteidiger

1. die vollständige Messserie mit den Fotos, den digitalen Falldaten im gerätspezifischen Format nebst dazugehörigem öffentlichen Schlüssel, das Auswerteprogramm und die gesamten Messdaten der Messserie,

2. die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF Dateien) der Messserie des Betroffenen mit Token-Datei und Passwort,

3. sowie die zum Messgerät gehörige Lebensakte, hilfsweise die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme offen zu legen und zu übersenden.

Des Weiteren beantragte der Verteidiger, für den Fall, dass die Bußgeldstelle seinen Anträgen nicht nachkommt, die gerichtliche Entscheidung. Zur Begründung wird angeführt, ohne die komplette Messserie und die Lebensakte bzw. die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise könne nicht geprüft werden. ob das Gerät im streitgegenständlichen Messbetrieb ordnungsgemäß gearbeitet habe. Es seien zudem Auffälligkeiten festzustellen, nämlich dass die Auswertschablone nach links versetzt eingeblendet sei. Die Ursache für den Versatz könne ausschließlich durch Einsichtnahme in die Falldaten und die Messserie geklärt werden.

Die Bußgeldstelle übersandte dem Verteidiger mit Datum vom 30.11.2016 eine CD mit Schulungsnachweisen der Auswerter, der XML-Datei, der einzelnen Falldatei, Token, Passwort, Bild mit Schlüsselsymbolen sowie entschlüssle/konvertierte Bilder hinsichtlich des Vitronic Messgerätes, betreffend den Vorgang des Betroffenen.

Mit E-Mail vom 14.12.2016 des Verteidigers wurden die Anträge auf Akteneinsicht vom 23.11.2016 aufrechterhalten. Des Weiteren wurde erneut Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Bußgeldstelle nicht abgeholfen.

II.

Der gemäß § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.

Entgegen der bisherigen Auffassung des Gerichts besteht kein Anspruch auf Überlassung der vollständigen Messserie mit Fotos und digitalen Falldaten.

Der Anspruch folgt – in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts – weder aus § 147 StPO noch aus dem Gebot des fairen Verfahren. Die Messdaten des Tattages, die sich nicht auf den Betroffenen, sondern auf andere Verkehrsteilnehmer beziehen, sind nicht Teil der dem Gericht vorliegenden Akte. Bereits die den Betroffenen betreffende Messdatei ist als solche nicht Aktenbestandteil und muss auch nicht beigezogen werden.

Zur Akte gehören nämlich lediglich alle Schriftstücke, Ton- oder Bildaufnahmen, Videoaufzeichnungen u.a., aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können. Dabei bezieht sich das Einsichtsrecht nur auf das gegen den jeweiligen Betroffenen geführte Verfahren, nicht hingegen auf Aktenbestandteile anderer Verfahren. Insbesondere ist es zunächst Aufgabe der Ermittlungsbehörden, nach dem Grundsatz der Objektivität zu prüfen, welche Urkunden, Daten o.ä. Relevanz für das Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten oder Betroffenen haben, und eine entsprechende Auswahl bei der Zusammenstellung der Verfahrensakte zu treffen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015, 2 Rbs 63/15). Letztlich haben der Betroffene bzw. sein Verteidiger nur Anspruch auf solche Teile der Aufzeichnungen, die den Verkehrsverstoß selbst dokumentieren (vgl. Burhoff, Handbuch des Straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahrens, 2. Auflage, Rn 173).

Auch aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergibt sich kein Anspruch auf Übersendung der gesamten Messreihe auf CD-Rom.

Das Gebot des fairen Verfahrens folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. dem allgemeinen Freiheitsrecht nach Art. 2 GG. Das Recht auf ein faires Verfahren enthält nach dem BVerfG “keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen war. den sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist” (BVerFG, Beschluss vom 07.12.2011 – 2 BvR 2500/09).

Aus dem Rechtsstaatsprinzip kann die Übersendung sämtlicher Daten anderer Verkehrsteilnehmer auf CD-Rom nicht verlangt werden. Ein ausdrücklicher Anspruch besteht nicht und im Rahmen einer Gesamtschau ist die Herausgabe der beantragten Daten der kompletten Messserie unverhältnismäßig, da eine Vielzahl von schützenwerten Daten anderer Verkehrsteilnehmer betroffen sind.

Vor dem Hintergrund des oben Ausgeführten können dem Verteidiger auch nicht die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF Dateien) der Messserie mit Token-Datei und Passwort zur Verfügung gestellt werden. Auch dieser Anspruch geht nämlich über den streitgegenständlichen Verkehrsvorgang hinaus, da in dem geforderten TUFF Format sämtliche Falldateien eines Jahres und damit Verkehrsvorgänge anderer Teilnehmer mitgeteilt werden müssten.

Letztlich besteht vorliegend entgegen der bisherigen Auffassung des Gerichts auch kein Anspruch dem Verteidiger die zu dem Messgerät gehörende Lebensakte, hilfsweise die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme offen zu legen und zu übersenden.

Eine Lebensakte wird in Rheinland-Pfalz nicht geführt und kann daher auch nicht an den Verteidiger zur Einsicht übersandt werden. Es kann letztlich dahinstehen, welche tatsächlichen Unterlagen zum hiesigen Messgerät geführt werden und möglicherweise unter den Begriff einer Lebensakte fallen würden, denn das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers umfasst nur verfahrensbezogene Unterlagen, die zu den Akten genommen worden sind und auf die der Vorwurf in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dazu gehören Lebensakten von technischen Messgeräten nicht. Hierfür besteht auch unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens im Bußgeldverfahren kein Bedürfnis, da das Führen solcher Unterlagen für das vorliegende Messgerät nicht gefordert wird. Der Betroffene ist in der Lage die gültige Eichung und die zur Anwendung gekomme Software dem Eichschein bzw. Messprotokoll zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 473 StPO.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Stefan Schubert, Trier, für die Zusendung die­ser Entscheidung.