Mit diesem Beschluss hat das AG Andernach die Bußgeldstelle verpflichtet, die gesamte Messereihe bzw. “Messfilm” einer Geschwindigkeitsmessung herauszugeben, wobei diese in einem allgemein lesbaren Dateiformat zu überlassen sei. Liegen die Original-Messdaten also in einem herstellerspezifischen Format vor – der Messgerätetyp wird im Beschluss nicht angegeben – muss die Verwaltungsbehörde die Daten in ein Text-, XML- oder ähnliches Format umwandeln bzw. die Messfotos in Fotodateien, beispielsweise JPEGs. Eine Auswertesoftware des Geräteherstellers ist dann nicht mehr erforderlich. Nachteil: Die Authentizität der Daten kann nicht mehr geprüft werden; es kann dann nicht gesagt werden, ob die Daten aus der beantragten Messreihe stammen und nicht verändert worden sind. Gemäß § 31 Abs. 4 MessEG (richtig: § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG) geführte Wartungsnachweise seien ebenfalls dem Verteidiger zu überlassen, damit dieser die Unterlagen auf Reparaturen oder sonstige Eingriffe in das Messgerät prüfen kann, welche zum Erlöschen der Eichung geführt haben. Eine Verpflichtung zur Führung einer Lebensakte bestehe demgegenüber nicht (AG Andernach, Beschluss vom 15.09.2017 – 2h OWi 131/17).

1. Die Bußgeldbehörde wird verpflichtet, der Verteidigung den gesamten Messfilm in einem allgemein lesbaren Dateiformat zur Verfügung zu stellen.

Ein geeignetes Speichermedium ist vom Betroffenen oder seinem Verteidiger zur Verfügung zu stellen.

2. Die Bußgeldbehörde wird verpflichtet, die gemäß § 31 MessEG geforderten Nachweise über Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe am Messgerät, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommenen Maßnahmen, für einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten nach Ablauf der nach § 41 MessEG bestimmten Eichfrist zum Verfahren beizuziehen und dem Verteidiger zur Verfügung zu stellen, soweit solche vorhanden sind.

3. Die Kosten des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Dem Betroffenen wird im Bußgeldverfahren angelastet, am 21.02.2017 um … Uhr auf der BAB 61, km 211,600 Gemarkung Kruft in Fahrtrichtung Ludwigshafen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h überschritten zu haben. Der Verteidiger des Betroffenen hat unter dem 10.05.2017 beantragt, ihm den gesamten Messfilm in einem allgemein lesbaren Format zur Verfügung zu stellen sowie die gemäß § 31 MessEG geforderten Nachweise über Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe am Messgerät, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommenen Maßnahmen, für einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten nach Ablauf der nach § 41 MessEG bestimmten Eichfrist zum Verfahren beizuziehen und ihm zur Verfügung zu stellen, was die Bußgeldbehörde mit Schreiben vom 19.07.2017 abgelehnt hat. Hiergegen hat der Verteidiger unter dem 25.07.2017 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Der zulässige Antrag des Verteidigers ist auch in der Sache erfolgreich.

Ein Anspruch des Betroffenen auf Herausgabe des gesamten Messfilms ergibt sich aus seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 EMRK), dessen wesentlicher Bestandteil es ist, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, sich kritisch mit allen von den Verfolgungsbehörden zusammengetragenen Informationen auseinanderzusetzen (vgl. Cierniak/Niehaus, DAR 1/2014, S. 4 m. w. N). Dies muss im Bußgeldverfahren insbesondere vor dem Hintergrund gelten, dass es dem Betroffenen oder seinem Verteidiger bei Verwendung eines sogenannten standarisierten Messverfahrens obliegt, die Richtigkeit der Messung durch Benennung gegebenenfalls vorhandener konkreter Anhaltspunkte in Zweifel zu ziehen. Erst wenn ihm das gelingt, wird eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts aktiviert. Damit der Betroffene bzw. sein Verteidiger in die Lage versetzt wird, konkrete Anhaltspunkte, die gegen eine ordnungsgemäße Messung sprechen könnten, aufzufinden und vorzutragen, benötigt er Einsicht in den kompletten Messfilm.

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht der übrigen Verkehrsteilnehmer hinter dem Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung zurückzustehen. Die übrigen Verkehrsteilnehmer haben sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer sowie der polizeilichen Kontrolle ausgesetzt.

Eine Verpflichtung zur Führung einer sogenannten Lebensakte durch die Verwaltungsbehörde besteht nicht. Dennoch ist in § 31 Abs. 4 MessEG vorgesehen, dass Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät aufzubewahren sind. Sollten solche Nachweise vorhanden sein, sind diese der Akte beizuziehen und dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger Einsicht zu gewähren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich hieraus konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder für sonstige Eingriffe in das Messgerät ergeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, § 467 StPO analog.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Frank Schneider, Bad Harzburg, für die Zusendung die­ser Entscheidung.