Dass nicht alle Bußgeldrichter so denken wie in der gestern vorgestellten Entscheidung des AG Aalen zeigt dieser Beschluss: Hier bestätigt das AG Merzig die Tendenz der übrigen saarländischen Gerichte, in Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen alle in Betracht kommenden Messdaten an die Verteidigung herauszugeben, um dieser eine Überprüfung des Messvorgangs zu ermöglichen. Neben der Messstatistik seien die Falldaten der gesamten Messserie herauszugeben, so wie es auch die Amtsgerichte in Neunkirchen, Saarlouis, St. Ingbert, Völklingen vertreten; Datenschutzbedenken sieht im Saarland hingegen das AG Saarbrücken. Außerdem sei der Verteidigung die Einsicht in die Lebensakte des Messgeräts zu gewähren (AG Merzig, Beschluss vom 23.08.2017 – 21 OWi 110/17).

In der Bußgeldsache

gegen

Verteidigerin:
Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Winkelstraße 24, 66359 Bous

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Amtsgericht – OWI-Sachen – Merzig

durch Richterin …

am 23.08.2017 beschlossen:

1. Der Zentrale Bußgeldbehörde wird aufgegeben, der Verteidigerin die digitalen Falldaten der gesamten Messreihe inklusive Rohmessdaten, die Statistikdatei zur Messserie sowie die Lebensakte zur Verfügung zu stellen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe

I.

Dem Betroffenen wird durch den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldbehörde vom 10.03.2017 vorgeworfen, am 31.01.2017 in Wellingen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h nach Toleranzabzug überschritten zu haben.

Die Verteidigerin des Betroffenen beantragte Akteneinsicht und erhielt diese nur teilweise. Mit Schriftsatz vom 02.05.2017 hat der Verteidiger für den Betroffenen gegenüber der Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Gegen die Ablehnung der Herausgabe der Messdatei ist gemäß § 62 OWiG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig.

Der Antrag ist auch begründet.

Bei dem verwendeten Messverfahren LEIVTEC XV 3 handelt es sich um ein sog. standardisiertes Messverfahren, bei dem es dem Betroffenen obliegt, substantiiert vorzutragen, aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist. Aufgrund der durch die Standardisierung vorliegenden Beweislastumkehr muss dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf eventuelle Messfehler zu untersuchen (vgl. AG Neunkirchen, Beschluss vom 27. April 2016 – 19 Gs 55/16- zitiert nach juris).

Auch bei einem standardisierten Messverfahren kann ein aus dem Grundsatz des fairen Verfahren resultierendes Recht des Betroffenen auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, sich nicht bei den Akten befindenden Messunterlagen und Messdaten bestehen, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind (Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. Februar 2016 – Ss (Bs) 6/16 (4/16 OWi) -, zitiert nach juris).

Der Herausgabe der Messdatei stehen jedenfalls für den Fall der Herausgabe nur an den Verteidiger keine eventuellen datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen (vgl. auch AG Völklingen, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 6 Gs 49/16; AG Neunkirchen, a.a.O.; AG Kaiserslautern, Beschluss vom 13. Juni 2016 – 5 OWi 1020/16, jeweils zitiert nach juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i.V.m. 467 StPO.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.