Gegen den Betroffenen fand die Hauptverhandlung auf Grund seines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid wegen Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeuges statt. Nach der Vernehmung von Zeugen und dem Stellen eines Beweisantrags durch den Vertedigier, welchen die Richterin ablehnte, wurde die Sitzung unterbrochen. Nach Wiederbeginn erhob sich die Richterin und verkündete ihr Urteil, ohne dass der Verteidiger Gelegenheit zum Plädieren oder der Betroffene das letzte Wort gehabt hätte. Der Verteidiger lehnte daraufhin die Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Das AG Wildeshausen meint, dass in Fällen, in denen der Richter schon während des Plädoyers des Verteidigers mit der Urteilsabsetzung beginnt, ein Befangenheitsgrund anerkannt sei und dies erst recht dann gelten müsse, wenn der Richter zur Urteilsverkündung ansetzt, ohne den Verteidiger überhaupt plädieren zu lassen. Für den Betroffenen müsse dann der Eindruck entstehen, dass unabhängig von möglichen Ausführungen durch ihn oder seinen Verteidiger die Entscheidung bereits festeht. Dies gelte auch im Falle eines Versehens des abgelehnten Richters.

AG Wildeshausen, Beschluss vom 05.04.2017 – 3 OWi 859/16

Das Gesuch des Betroffenen, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt …, vom 03.04.2017, die erkennende Richterin … wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird für begründet erklärt.

Gründe

I.

Gegen den Betroffenen ist am 20.07.2016 ein Bußgeldbescheid ergangen, mit dem gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 60,00 € festgesetzt wurde. Vorgeworfen wird ihm, am 22.04.2016 in Wildeshausen als Führer eines Kraftfahrzeugs verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt zu haben. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene, vertreten durch seinen Verteidiger, … mit Schriftsatz vom 26.07.2016 Einspruch ein. Am 14.03.2017 fand unter Vorsitz der Richterin … (im folgenden: die abgelehnte Richterin) ein Termin zur Hauptverhandlung statt. Nachdem unter anderem Zeugen vernommen wurden, wurde die Verhandlung unterbrochen und am 03.04.2017 fortgesetzt. Während der Verhandlung stellte der Verteidiger einen Beweisantrag, den die abgelehnte Richterin ablehnte. Sodann wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Nach Wiederbeginn erhob die Richterin sich zwecks Verkündung eines Urteils, dessen Tenor sie bereits schriftlich fixiert hatte, ohne zuvor dem Verteidiger Gelegenheit zu geben, zu plädieren oder dem Betroffenen das letzte Wort zu gewähren. Aufgrund dieses Verhaltens lehnte der Verteidiger die abgelehnte Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.

Die abgelehnte Richterin hat unter dem 03.04.2017 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben und hierbei den soeben geschilderten Sachverhalt bestätigt und mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht der Anschein einer Besorgnis der Befangenheit vorliege. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg und der Verteidiger erhielten Gelegenheit, sich zu dieser dienstlichen Stellungnahme zu äußern. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg erklärte mit Schriftsatz vom 04.04.2017, die Auffassung des Verteidigers, dass das Verhalten der abgelehnten Richterin die Besorgnis der Befangenheit wecke, zu teilen. Der Verteidiger bekräftigte mit Schriftsatz vom 04.04.2017 die Ausführung aus dem Befangenheitsantrag.

II.

Der Ablehnungsantrag ist zulässig und begründet. Der dargestellte – zwischen den Beteiligten unstreitige – Sachverhalt, der sich, soweit er nicht aus dem Ablehnungsantrag und der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin hervorgeht, aus dem Akteninhalt ergibt, rechtfertigt für den Betroffenen bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus dessen Perspektive die Annahme, dass die abgelehnte Richterin ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen könnte, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Befangenheit i.S.d. § 24 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ist eine innere Haltung eines Richters, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflusst, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters – sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art – am Verfahrensgang und am Ausgang des Verfahrens begründet. Es kommt für die Prüfung der Ablehnungsberechtigung grundsätzlich auf den Standpunkt des Ablehnungsberechtigten an, wobei maßgebend nicht dessen allein subjektiver Eindruck ist. Vielmehr müssen vernünftige Gründe für das Ablehnungsbegehren vorliegen, die nach Maßgabe einer objektivierenden Wertung einem aus dem Blickwinkel des ablehnungsberechtigten Verfahrensbeteiligten vernünftig urteilenden Dritten einleuchten würden. Eine Besorgnis der Befangenheit besteht mithin dann, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Scheuten, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage, 2013, § 24, Rn 3 ff. m.w.N.; BGH, Urteil vom 11.09.1956, Az.: 5 StR/56, Leitsatz 2., in: JR 1956, 68, zitiert nach juris). Auf die Frage, ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, kommt es nicht an (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 58. Auflage, 2015, § 24, Rn. 6 ff. m. w. N.).

Sofern dem Richter mögliche Verfahrensverstöße vorgeworfen werden, ist zu beachten, dass solche nur dann ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Richters rechtfertigen können, wenn die Verhandlungsführung sich als in hohem Maße rechtsfehlerhaft, unangemessen oder unsachlich darstellt, mithin grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen das Verfahrensrecht vorliegen (vergleiche Scheuten, a.a.O., § 24, Rn. 14; Schmitt, a.a.O., § 24, Rn. 17). Dies kann dann bejaht werden, wenn dem Betroffenen bewusst und willkürlich das rechtliche Gehör versagt wird (BGH VRS 41, 203, 205). Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen hingegen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. Zwar gilt dieser Maßstab dann nicht, wenn die vom Richter geäußerte Rechtsauffassung abwegig ist oder sogar den Anschein der Willkür erweckt (BGH, Urteil vom 12.11.2009, Az.: 4 StR 275/09. zitiert nach juris), jedenfalls aber kann prozessordnungsgemäßes Verhalten nicht zu einem auch nur äußeren Anschein der Befangenheit aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des Gesuchstellers führen.

Demnach gilt hier folgendes:

Das Verhalten der abgelehnten Richterin im Termin am 03.04.2017 rechtfertigt aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Position des Betroffenen ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin. Grundsätzlich ist dies zu bejahen, wenn sich aus dem Verhalten der abgelehnten Richterin ergibt, dass das Ergebnis der Entscheidungsfindung bereits feststeht, obgleich dem Betroffenen noch rechtliches Gehör zu gewähren ist. In den Fällen, in dem ein Richter schon während des Plädoyers des Verteidigers mit der Urteilsabsetzung beginnt, ist ein Befangenheitsgrund zu bejahen (vgl. Schmitt, a.a.O., § 24, Rn. 19). Erst recht muss dies gelten, wenn der Richter bereits ansetzt, ein Urteil zu verkünden, ohne dem Verteidiger überhaupt Gelegenheit gegeben zu haben, zu plädieren. In dieser Konstellation liegt es auf der Hand, dass für den Betroffenen der Eindruck entsteht, dass unabhängig von möglichen Ausführungen des Verteidigers im Rahmen seines Plädoyers oder des Betroffenen selbst im Rahmen des letzten Wortes die Entscheidung der abgelehnten Richterin bereits feststeht Auch wenn es sich hierbei um ein Versehen gehandelt hat, ist dieses Geschehen geeignet, den äußeren Anschein einer Voreingenommenheit zu erwecken. Zumindest aber besteht Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin.

Dieser Beschluss ist gemäß § 28 Abs, 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG unanfechtbar.