Der Betroffene befuhr mit einem Lkw seines Arbeitgebers einen Bereich, vor dem das Zeichen 253 (Lkw-Durchfahrtsverbot) mit dem Zusatz “Anlieger frei” aufgestellt ist. Er gab an, zu einem Anlieger unterwegs gewesen zu sein, wollte diesen aber nicht benennen. Das Amtsgericht nahm an, dass es sich dabei um eine Schutzbehauptung handelt und verurteilte den Betroffenen. Laut OLG Oldenburg zu Recht, denn ein Gericht müsse das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes “Anlieger frei” nicht zu Gunsten des Betroffenen unterstellen. Diesem sei zuzumuten gewesen, überprüfbare Angaben zur Einfahrt in den Bereich zu machen. Rechtsprechung, die dies als mit dem Schutz der Privatsphäre unvereinbar angesehen hatte, erscheine zweifelhaft.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.08.2017 – 2 Ss (OWi) 213/17

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wildeshausen vom 24.5.2017 wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Nutzens eines Verkehrsbereiches mit einem Kraftfahrzeug über 3,5 t zulässige Gesamtmasse, obwohl dieser durch Zeichen 253 gesperrt war, zu einer Geldbuße von 75 € verurteilt.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Am 8.9.2016 um 14:42 Uhr befuhr der Betroffene die K…in W…… mit einem Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse von über 3,5 t. Bei der K… handelt es sich um einen Verkehrsbereich, der mit dem Zeichen 253 mit dem Zusatz „Anlieger frei“ versehen ist.

In den Gründen heißt es weiter:

„Sein Verteidiger hat erklärt, dass der Betroffene Fahrer des Fahrzeugs gewesen ist und die K… befahren hat. Er sei jedoch zu einem Anlieger unterwegs gewesen, wobei der Betroffene nicht verpflichtet sei, diesen zu benennen.

Das Gericht geht jedoch davon aus, dass es sich bei der Angabe, dass der Betroffene zu einem Anlieger unterwegs gewesen sei, lediglich um eine Schutzbehauptung handelt, mit der der Betroffene versucht, seine unberechtigte Durchfahrt durch die K… zu rechtfertigen. Anlieger sind in diesem Zusammenhang alle Personen, die mit Grundstückseigentümern oder Bewohnern in Beziehung treten wollen.

Insoweit reicht es jedoch nicht aus, sich darauf zu berufen, dass er zu einem Anlieger unterwegs war, denn diese Angabe allein entzieht sich jeglicher Nachprüfung. Soweit der Verteidiger sich insoweit in der Haupthandlung auf die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 15.11.1995 (Aktenzeichen 6070 Js 9503/95 2 OWi) bezog, wonach einem Betroffenen aus Gründen der Privatsphäre nicht zugemutet werden könne, diesen Anlieger zu benennen, mag dies unter besonderen Umständen durchaus zutreffen, aber vorliegend sind überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Privatsphäre des Betroffenen in irgendeiner Form tangiert ist, denn der Betroffene war mit einem Fahrzeug seines Arbeitgebers unterwegs. Vorgerichtlich hatte der Verteidiger sogar selbst noch mitgeteilt, dass der Betroffene Baustoffe ausgeliefert habe, ohne in seiner Mitteilung die Empfangsperson mitzuteilen. Schon allein wegen der Fahrt mit seinem Arbeitsfahrzeug bedeutet (dies) für das Gericht, dass es sich um eine dienstliche Fahrt gehandelt hat. Inwieweit eine dienstliche Fahrt in die Privatsphäre des Betroffenen fällt, erschließt sich dem Gericht nicht.“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält Zulassungsgründe nicht für gegeben.

Der Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde ist damit zulässig. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg.

Zu klären ist die Frage, ob das Amtsgericht bei Befahren eines durch Verkehrszeichen 253 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO gesperrten, aber für Anlieger freigegeben Bereichs, mit einem Fahrzeug über 3,5 t Masse, bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte – insbesondere näherer überprüfbarer Angaben des Betroffenen – davon ausgehen darf, der gesperrte Bereich sei unberechtigterweise befahren worden.

Diese Frage ist zu bejahen.

Zeichen 253 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO beinhaltet das Verbot für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t. Durch das Zusatzzeichen „Anlieger frei“ wird das Anliegerprivileg nicht nur auf den Verkehr solcher Anlieger selbst, sondern auch auf den Verkehr mit ihnen erstreckt (OLG Zweibrücken, ZfS 1990,106 mit weiteren Nachweisen). Durch die Ausnahme soll gewährleistet werden, dass dem Anlieger durch das Verkehrsverbot keine Nachteile entstehen und der Zugang zu seinem Grundstück unbeschränkt gestattet ist. (OLG Zweibrücken aaO).

Ein Betroffener der mit einem Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t den gesperrten Bereich befährt, handelt objektiv ordnungswidrig, es sei denn der Ausnahmetatbestand „Anlieger frei“ liegt vor.

Das Gericht muss das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes nicht zu Gunsten des Betroffenen unterstellen.

Liegen keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, führt der Zweifelsatz nicht dazu, dass das Gericht von der dem Betroffenen günstigsten Fallgestaltung ausgehen muss (vgl. Meyer-Goßner, StPO 60. Aufl., § 261 Rn. 26). Sachverhaltsvarianten, für die das aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpfte Beweisergebnis keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat, sind für die tatrichterliche Entscheidung nämlich ohne Belang (vgl. nur BGH NJW 2017, 1403).

Es war dem Betroffenen auch zuzumuten nähere, überprüfbare Angaben zum Zweck der Einfahrt in den gesperrten Bereich zu machen, da schutzwürdige Interessen nicht ersichtlich sind.

Dass beim Aufsuchen eines Bewohners der Straße mittels eines Lkw über 3,5 t, der Schutz der Privatsphäre des Fahrzeugführers oder des aufgesuchten Anlegers berührt sein könnte, dürfte auf extreme Ausnahmefälle beschränkt sein.

Im Übrigen ist ein Betroffener natürlich nicht verpflichtet, nähere Angaben zu machen, muss dann aber ggf. die Verhängung einer Geldbuße in Kauf nehmen. Ob der Senat der Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern (ZfS 1996,154), die das erlaubte Parken für Anlieger betraf, folgen würde, erscheint deshalb zweifelhaft, bedarf hier aber keiner Entscheidung.

Dahinstehen kann auch, ob der Fahrer die Berechtigung zum Befahren sogar durch die Vorlage von Frachtpapieren nachweisen muss (so, allerdings ohne nähere Begründung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.9.2012, 2 Ss OWi 719/11, juris, zu Nr 30.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO).

Da nach den Gründen des angefochtenen Urteils keine konkreten Anhaltspunkte für ein erlaubtes Befahren vorlagen, lässt das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.

Die Kostenentscheidung vor 465 StPO in Verbindung mit § 79 OWiG.