Im vergangenen Jahr konnten Betroffene bzw. Verteidiger offenbar in mehreren OWi-Verfahren mit einer etwas speziellen Argumentation Verfahrenseinstellungen erreichen, worüber auch in der Presse berichtet wurde. Aus diesem Grund möchte ich einen dazu ergangenen Beschluss des OLG Stuttgart vorstellen: In Baden-Württemberg existiert eine Zuständigkeitsregelung, welche auf die “Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970” verweist. Dagegen wurde eingewandt, dass die StVO von 1970 nicht mehr in Kraft sei, gültig sei nunmehr die Straßenverkehrs-Ordnung vom 06.03.2013, so dass die Verweisung ins Leere gehe und die Bußgeldbescheide erlassenden Verwaltungsbehörden sachlich dafür nicht zuständig seien.

Das OLG Stuttgart zeigte sich davon nicht überzeugt: § 1 StVOZustG-BW, welcher die in Rede stehende Verweisung enthalte, betreffe überhaupt nicht die Zuständigkeit in Ordnungswidrigkeitenverfahren. Unabhängig davon sei von einer dynamischen Verweisung auf die jeweils geltende StVO-Fassung auszugehen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 09. November 2017 – 4 Rb 25 Ss 833/17

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 23. Juni 2017 wird als unbegründet

verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße von 960 Euro und ein Fahrverbot von drei Monaten.

Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde durch Beschluss als unbegründet zu verwerfen.

Der Einzelrichter hat die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Sie ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, unbegründet.

I.

Es besteht kein Verfahrenshindernis. Der näheren Erörterung bedarf zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung lediglich das Vorbringen der Verteidigung, das Landratsamt Tübingen sei als Bußgeldbehörde sachlich nicht zuständig gewesen.

1. Die Rechtsbeschwerde führt aus, der dem Verfahren zugrunde liegende Bußgeldbescheid sei von der unzuständigen Behörde erlassen worden. Dies stelle einen „schwerwiegenden Mangel“ dar, „ohne eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit“ dürfe eine Behörde Bußgeldverfahren nicht bearbeiten. Die Rechtsbeschwerde führt diese Rechtsansicht darauf zurück, dass § 1 des Gesetzes über Zuständigkeiten nach der Straßenverkehrs-Ordnung (StVOZustG) vom 17. Dezember 1990 (GBl. 1990, 427) besage, dass Straßenverkehrsbehörden im Sinne von § 44 Abs. 1 StVO der Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 die unteren Verwaltungsbehörden sind. Die Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 sei jedoch im Jahr 2013 außer Kraft getreten.

2. Ein Fehlen der sachlichen Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde würde sich im gerichtlichen Verfahren nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid allenfalls bei offenkundigen Verstößen gegen die sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde auswirken (vgl. Gürtler in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 36 Rn. 15). Nur in einem solchen Fall wäre der Bußgeldbescheid unwirksam mit der Folge, dass dem Verfahren eine – von Amts wegen zu prüfende – Verfahrensvoraussetzung fehlte.

Von einem solch offenkundigen Verstoß könnte jedoch selbst dann nicht die Rede sein, wenn die Verwaltungsbehörde ihre (unterstellte) fehlende Zuständigkeit als Straßenverkehrsbehörde nach dem Gesetz über die Zuständigkeit nach der Straßenverkehrs-Ordnung irrtümlich angenommen hätte.

3. Das Landratsamt Tübingen war als Bußgeldbehörde zuständig. Der Angriff der Rechtsbeschwerde verkennt bereits die unterschiedlichen Regelungen für die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde als Straßenverkehrsbehörde nach § 1 StVOZustG und als Bußgeldbehörde nach § 36 Abs. 2 OWiG i. V. m § 2 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung über Zuständigkeiten nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiZuVO).

a) § 36 OWiG regelt die – hier relevante – Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten. Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist in erster Linie die im Gesetz bestimmte Verwaltungsbehörde zuständig (z. B. § 75 Abs. 6 LBO: untere Baurechtsbehörde; § 18 Abs. 3 PolG: Ortspolizeibehörde). Mangels einer solchen Bestimmung ist für Gesetze, die durch die Länder ausgeführt werden, gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a OWiG die fachlich zuständige oberste Landesbehörde und für Gesetze, die durch Bundesbehörden ausgeführt werden, gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b OWiG das fachlich zuständige Bundesministerium zuständig. In Baden-Württemberg hat der Verordnungsgeber von der Möglichkeit des § 36 Abs. 2 OWiG Gebrauch gemacht und durch § 2 Abs. 1 OWiZuVO grundsätzlich die untere Verwaltungsbehörde (§ 15 Abs. 1 LVwG) für zuständig erklärt.

b) Für den praktisch wichtigen Fall der Verkehrsordnungswidrigkeiten gilt somit Folgendes: Grundsätzlich ist gemäß § 2 Abs. 1 OWiZuVO die untere Verwaltungsbehörde zuständig, also in Stadtkreisen die Gemeinde, die Landratsämter, die großen Kreisstädte und bestimmte Verwaltungsgemeinschaften (vgl. § 15 Abs. 1 LVwG). Sonstige Gemeinden sind gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 7 OWiZuVO für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständig, soweit sie als örtliche Straßenverkehrsbehörde zuständig sind (vgl. § 3 Abs. 1 StVOZustG). Für auf Bundesautobahnen begangene oder entdeckte Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24, 24a StVG ist das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiZuVO).

Die nicht aktualisierte Fassung des § 1 StVOZustG, die noch auf die Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 verweist, ändert daran nichts, selbst wenn man – eher fernliegend – diese Vorschrift als statische Verweisung (auf die nicht mehr geltende Straßenverkehrs-Ordnung) auffassen wollte. Denn die oben genannten Zuständigkeitsvorschriften für Verwaltungsbehörden zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten verweisen gerade nicht auf diese Norm. Im Übrigen scheint es ohnehin naheliegender, sie als dynamische Verweisung auf die jeweils aktuelle Fassung der Straßenverkehrs-Ordnung zu verstehen.

Die Zuständigkeit der unteren Verwaltungsbehörde als Verwaltungsbehörde im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ergibt sich allein aus den Vorschriften der Verordnung der Landesregierung über Zuständigkeiten nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Es kann somit kein Zweifel bestehen, dass das Landratsamt Tübingen als untere Verwaltungsbehörde hier auch zuständige Bußgeldbehörde war.

d) Selbst in dem hier nicht einschlägigen Fall, dass eine Gemeinde gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 7 OWiZuVO, soweit sie als örtliche Straßenverkehrsbehörde zuständig ist, als Bußgeldbehörde handelt, kann der Verweis in § 1 StVOZustG auf die Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 am Ergebnis nichts ändern. Die Zuständigkeit sonstiger Gemeinden als Verwaltungsbehörde im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten knüpft zwar an die Eigenschaft als örtliche Straßenverkehrsbehörde an. Die Erklärung zur örtlichen Straßenverkehrsbehörde ist aber in § 2 StVOZustG, der keinen Verweis auf die Straßenverkehrs-Ordnung enthält, geregelt. Auch § 3 StVOZustG verweist nicht auf eine bestimmte Fassung der Straßenverkehrs-Ordnung.

II.

Im Übrigen kann der Senat nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO verfahren und auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 13. September 2017 verweisen.

Die Anforderungen an die Darlegung der für die Beweiswürdigung tragenden Umstände, insbesondere hinsichtlich der Feststellung vorsätzlichen Handelns, sind vorliegend in noch ausreichender Weise erfüllt. Auch kann der Senat ausschließen, dass bei der Verhängung des Regelfahrverbots von drei Monaten sich mögliche Rechtsfehler in der Begründung auf das Ergebnis ausgewirkt haben, zumal der Senat gem. § 79 Abs. 6 OWiG selbst in der Sache entscheiden könnte, ohne dass es zuvor einer vorübergehenden Aufhebung des Urteils bedürfte, wenn er – wie hier – im Ergebnis dem Amtsgericht folgte, die Entscheidung aber abweichend begründete (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rn. 44, 45c, 45e mwN).