Bei einem vom Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug der Geschädigten beschädigt. Die Beklagte erklärte telefonisch gegenüber dem Ehemann der Geschädigten, dass die Reparaturkosten übernommen würden. Die Klägerin, welche die Geschädigte anschließend mit der Erstellung eines Schadengutachtens beauftragte, macht nun ihren Rechnungsbetrag als Schadensersatz aus abgetretenem Recht geltend.

Das LG Stuttgart stellt fest, dass die Geschädigte hier die Einholung eines Gutachtens zum Zeitpunkt der Beauftragung für erforderlich halten durfte. Die telefonische Erklärung der Beklagten gegenüber dem Ehemann sei so zu verstehen, dass die Beklagte ihre Haftung dem Grunde nach anerkennt. Die Höhe des unfallbedingten Schadens bzw. der Reparaturkosten seien zu diesem Zeitpunkt unbekannt gewesen, so dass die Geschädigte keine Gewissheit gehabt habe, in welcher Höhe die Beklagte diese Kosten anerkennen und übernehmen würde. Daher habe ein Gutachten der Geschädigten helfen können, die unfallbedingten Schäden nachzuweisen.

LG Stuttgart, Urteil vom 22.02.2018 – 5 S 240/17

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 13.09.2017, Az. 41 C 1957/17, abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 466,96 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.05.2017 zu bezahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von dem Gebührenanspruch der Rechtsanwaltskanzlei X in Höhe von € 70,20 freizustellen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 466,96 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand der Klage sind abgetretene Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 07.01.2017. Die alleinige Haftung des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrers ist unstreitig. Bei dem Unfall wurde das Fahrzeug von Frau A. beschädigt. Die Beklagte erklärte telefonisch gegenüber dem Ehemann der Geschädigten, dass die Reparaturkosten übernommen würden. Daraufhin verbrachte der Ehemann der Geschädigten das Fahrzeug in eine Werkstatt. Vor Durchführung der Reparatur erstellte die Klägerin ein Gutachten über die Beschädigungen am Fahrzeug. Hierfür stellte sie der Geschädigten einen Betrag in Höhe von € 466,96 brutto in Rechnung (Rechnung vom 18.01.2017, Bl. 42 d.A.). Diesen Betrag macht die Klägerin aus abgetretenem Recht mit vorliegender Klage geltend.

Das Amtsgericht Stuttgart wies mit Urteil vom 13.09.2017 – Az.: 41 C 1957/17 – die Klage mit der Begründung ab, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht erforderlich gewesen sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a, 542, 544 ZPO verzichtet.

II.

Die zulässig, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung ist in der Sache erfolgreich.

1. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 249, 398 BGB i.V.m § 115 Abs. 1 S.1 Nr. 1 VVG zu.

a) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der Schädiger den Zustand wiederherzustellen, der vor dem schädigenden Ereignis bestand. Nach gefestigter Rechtsprechung gehören die Kosten eines eingeholten Sachverständigengutachtens regelmäßig zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen (BGH, Urteil vom 28.02.2017 – VI ZR 76/16 -, zit. nach juris, Rziff. 6 m.w.N.; BGH, Urteil vom 22.07.2014 – VI ZR 357/13 -, DS 2014, 282 ff. m.w.N.).

Erstattungsfähig sind gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlichen Kosten, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13 -, zit. nach juris, Rziff. 15). Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten halten durfte (BGH, Urteil vom 30.11.2004, VI ZR 365/03, Beck RS 2005, 00604). Auf die konkreten Vorstellungen des Ehemanns der Geschädigten kommt es angesichts der Notwendigkeit, einen objektiven Maßstab anzulegen, nicht an.

b) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die mit der Berufung nicht angegriffen wurden, hatte ein Mitarbeiter der Beklagten in einem Telefonat mit dem Ehemann der Geschädigten am 12.02.2017 erklärt, dass die Beklagte die Reparaturkosten übernehmen werde. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Informationen über den Schadensumfang und die Höhe der Reparaturkosten. Bekannt war lediglich, dass der Schaden durch ein Auffahren des Versicherungsnehmers der Beklagten auf das Heck des Fahrzeuges von Frau A. entstanden war. Die mündliche Erklärung der Beklagten, sie werde die Reparaturkosten übernehmen, kann ein verständiger Geschädigter nur dahingehend verstehen, dass die Beklagte ihre Haftung dem Grunde nach anerkennt und bereit ist, die Reparaturkosten für die unfallbedingten Schäden zu übernehmen. Ungeklärt ist somit weiterhin der Umfang des unfallbedingten Schadens und die damit korrespondierende Höhe der Reparaturkosten. Der Geschädigte hat keine Gewissheit darüber, in welcher Höhe die gegnerische Versicherung nach Durchführung der Reparatur die Kosten als unfallbedingte Reparaturkosten anerkennen und übernehmen wird. Dem Geschädigten kann es daher nicht verwehrt werden, zunächst ein Gutachten einzuholen, um den unfallbedingten Schadensumfang und die daraus resultierende Höhe der Reparaturkosten durch ein Sachverständigengutachten dokumentieren zu lassen. Dieses kann ihm, sollte es Differenzen mit der gegnerischen Versicherung über den Schadensumfang geben, helfen, den unfallbedingten Schaden nachzuweisen. Ein verständig denkender Geschädigter, der weiß, dass die gegnerische Versicherung die Haftung dem Grunde nach übernimmt, wird es für geboten halten, vor Durchführung der Reparatur ein Gutachten über den Umfang der Schäden einzuholen, um eine spätere Auseinandersetzung über die Frage, ob ein reparierter Schaden unfallbedingt war oder nicht, zu vermeiden. Allein die Zusicherung, dass der Schaden dem Grunde nach übernommen wird, gibt dem Geschädigten keine ausreichende Sicherheit, dass die bei der Reparatur entstehenden Kosten auch tatsächlich alle übernommen werden, wenn die Frage des Schadensumfangs zwischen den Parteien noch nicht geklärt ist. Da im vorliegenden Fall weder die Geschädigte noch die Beklagte Anhaltspunkte für den Umfang des Schadens am Fahrzeug der Geschädigten hatten, durfte ein verständig denkender Geschädigte ein Gutachten zur Feststellung der Schadenshöhe einholen.

b) In der Rechtsprechung wird die Ersatzfähigkeit von Gutachterkosten in Fällen von Bagatellschäden verneint. Die Geringfügigkeitsgrenze als Anhaltspunkt für die Entbehrlichkeit eines Gutachtens wird in der Rechtsprechung dabei jedenfalls bei unter € 1.000,00 angesetzt. Im vorliegenden Fall ermittelte der Sachverständige Reparaturkosten in Höhe von € 1.669,18. Dieser Reparaturumfang überschreitet in jedem Fall die Geringfügigkeitsgrenze. Hinzu kommt, dass selbst bei Bagatellschäden die Einschaltung eines Sachverständigen nur dann nicht als notwendig betrachtet wird, wenn auch für einen Laien ausgeschlossen werden kann, dass er der sachverständigen Beratung bedarf. Dies ist nur dann der Fall, wenn offensichtlich nur oberflächliche Schäden entstanden sind. Jedwede nach dem Unfallhergang oder dem Schadensbild vertretbare Zweifel, ob nicht verborgene Schäden (Verformungen der Karosserie, etc.) entstanden sind, gehen insoweit zu Lasten des Schädigers (Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage, 3. Kapitel Rdnr. 119). Allein der tatsächliche Reparaturumfang in Höhe von mehr als € 1.600,00 lässt erkennen, dass der Schaden am Fahrzeug der Geschädigten nicht geringfügig war. Insbesondere nach einem Auffahrunfall ist es für den unfallgeschädigten Laien zumeist ausgeschlossen, festzustellen, ob sein Fahrzeug neben den sichtbaren noch weitere nicht sichtbare Schäden erlitten hat. Um darüber Klarheit zu erhalten, darf der Geschädigte sich der fachkundigen Hilfe eines Sachverständigen bedienen, der das Ausmaß der unfallbedingten Schäden ermittelt und dokumentiert.

c) Die zur Begutachtung des beschädigten Fahrzeuges entstandenen Kosten in Höhe von € 466,96 sind somit erforderlich zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands und damit gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähig.

2. Die geschuldete Hauptforderung ist mit Eintritt der Rechtshängigkeit, die am 03.05.2017 eintrat, ab dem 04.05.2017 gemäß §§ 288, 291 BGB zu verzinsen.

Darüber hinaus besteht ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung der Hauptforderung gemäß §§ 280, 286 BGB in Höhe der geltend gemachten € 70,20 netto. Mit Schreiben der Klägerin vom 07.02.2017 wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 24.02.2017 erfolglos zur Zahlung der Gutachterrechnung aufgefordert. Die daraufhin infolge der Mandatierung des Prozessbevollmächtigten entstandene Verpflichtung der Klägerin, die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu begleichen, ist als Verzugsschaden zu ersetzen. Mit der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung durch die Beklagte, die jedenfalls in dem Klageabweisungsantrag zu sehen ist, wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch. Eine Fristsetzung gemäß § 250 S. 2 BGB ist in diesem Fall entbehrlich (Palandt, 77. Auflage, § 250 Rdnr. 2). Da die Klägerin jedoch lediglich Freistellung von der Verbindlichkeit verlangt, was einem Minus zum Leistungsanspruch entspricht, war gemäß § 308 Abs. 1 ZPO lediglich auf Freistellung zu erkennen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Rechtssache als Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.